Lidice bleibt ein Mahnmal

geschrieben von Ulrich Schneider

10. Mai 2017

Vor 75 Jahren wurde der Ort durch Wehrmacht und SS zerstört

Lidice, der Name dieses Ortes ist in aller Welt ein Begriff für die deutsche faschistische Barbarei gegen das tschechische Volk. Ein kleiner Arbeiterwohnort nahe Prag wurde am 9./10. Juni 1942 zum Objekt der Rache des Okkupationsregimes. Nach dem erfolgreichen Attentat gegen SS-Obergruppenführer und General der Polizei, Reinhard Heydrich, den man im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren nur »den Henker« nannte, wurde in Berlin für den Ort Lidice folgende »Sühnemaßnahme« beschlossen:
1. Alle männlichen Erwachsenen sind zu erschießen,
2. alle Frauen sind in ein Konzentrationslager zu überführen,
3. die Kinder zu sammeln und, soweit »eindeutschungsfähig«, an SS-Familien ins Reich zu geben. Der Rest soll einer anderen Erziehung zugeführt werden.
4. Die Ortschaft ist niederzubrennen und dem Erdboden gleichzumachen.
Begründet wurde diese verbrecherische Anweisung mit der Behauptung, die Attentäter hätten Unterstützer in dieser Ortschaft gehabt.
SS-, Schutzpolizei und Wehrmachtseinheiten begingen das Verbrechen gemeinsam. 173 Männer wurden erschossen, 198 Frauen und 98 Kinder wurden deportiert. Die 93 Häuser niedergebrannt, nachdem zuvor die bewegliche Habe und das Vieh zu Gunsten des Deutschen Reichs geraubt worden waren. Bürokratisch korrekt wurden alle Maßnahmen der Vernichtung abgerechnet. Eine Ortschaft mit dem Namen Lidice sollte nicht mehr existieren.
Die Nachricht von diesem Massaker verbreitete sich in aller Welt. Spontan beschlossen Orte in den USA, selbst auf Kuba und in Brasilien, sich in Lidice umzubenennen. US-Präsident Franklin D. Roosewelt erklärte: »Der Name der Stadt Lidice wird eine immerwährende Erinnerung für uns sein, dass die Gewalt der Nazis weder die Liebe zur Freiheit noch den Mut, sie zu verteidigen, zerstören kann.« Diese Worte schickte er an die Gemeinde Stern Parks Garden (Illinois) anlässlich deren Umbenennung.
Künstler und Schriftsteller – insbesondere aus dem deutschsprachigen Exil – nahmen sich des Themas an. Thomas und Heinrich Mann, Hans Marchwitza, Alfred Kantorowitz und viele andere beschrieben ihre Reaktionen in Erzählungen, Essays oder Theaterstücken. Bertolt Brecht, Hans Eisler und Fritz Lang realisierten gemeinsam den Film »Hangmen Also Die« über das Attentat auf Heydrich.
Sehr früh entwickelte sich eine internationale Bewegung »Lidice shall live«, die einerseits die Erinnerung an dieses Verbrechen lebendig halten und andererseits sich für den Wiederaufbau der Gemeinde nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus einsetzen wollte. Eine der wohl emotionalsten Veranstaltungen war die Lidice-Versammlung am 12. März 1944 in der zerstörten Kathedrale von Coventry, einer Stadt, die zum Synonym für deutsche Luftangriffe auf Städte und Zivilbevölkerung wurde (»coventrysieren«). Auch die britische Gewerkschaftsbewegung sammelte Geld, das 1947 von schottischen Bergarbeitern zum Wiederaufbau der Gemeinde übergeben wurde. So entstand Anfang der 50er Jahre am Rande des historischen Areals das neue Dorf Lidice. Als Ort der Erinnerung wurde 1955 ein Rosengarten angelegt, der bis heute existiert.
Die Erinnerung an diesem Ort wurde vielfach durch politische Entwicklungen überlagert. Die CSSR pflegte das Gedenken, hatte jedoch Probleme, die Ende der 60er Jahre international gesammelten Kunstwerke »pro Lidice« wegen unterschiedlicher Kunstauffassungen angemessen zu würdigen. Als sich eine Öffnung andeutete, wurde diese durch die politische Wende 1989/90 blockiert, da die neue Regierung kein Interesse an der Bewahrung dieses Erinnerungsortes zeigte. Es dauerte fast zehn Jahre, bis durch den deutsch-tschechischen Zukunftsfond Mittel zum Neubau einer Begegnungsstätte und zur Neugestaltung der musealen und pädagogischen Bereiche bereitgestellt wurden. Seit einigen Jahren wird die Gedenkstätte als Teil des tschechischen Kulturministeriums wieder angemessen ausgestattet. Zusätzlich haben Spenden und Fördermittel dazu beigetragen, dass beispielsweise die eindrucksvolle Skulptur von Marie Uchytilova für die Kinder von Lidice fertig gestellt werden konnte. Die Delegierten des FIR-Kongresses konnten sich im November 2016 von dem guten Zustand des Gedenkortes überzeugen.
Für 2017 ist angesichts des 75. Jahrestages ein großes internationales Treffen geplant, an dem auch Lidice-Initiativen aus verschiedenen europäischen Ländern, u.a. aus Bremen und Berlin erwartet werden. Auch die FIR wird mit einer Abordnung vertreten sein.