Ein Leben für das Leben

geschrieben von Hans Coppi

13. Mai 2017

Ingeborg Rapoport – Ärztin, Wissenschaftlerin und Antifaschistin

Im Mai 2015 verteidigte unsere Kameradin Prof. Dr. Ingeborg Rapoport in einem 45minütigen Prüfungsgespräch vor drei Professoren der Hamburger Universität ihre dort vor fast 80 Jahren eingereichte Doktorarbeit zu Lähmungserscheinungen infolge von Diphterie. Diese Arbeit war 1938 wegen der jüdischen Herkunft der Promovendin nicht zuge-lassen worden. Am 9. Juni 2015 erhielt sie die Promotionsurkunde mit der Gesamtnote Magna cum Laude. Chapeau!

Ingeborg Rapoport

Ingeborg Rapoport

Mit 102 Jahren verteidigte sie den Doktortitel nicht um ihrer selbst willen. Sie wollte vor allem an all die jüdischen Mediziner erinnern, deren wissenschaftliche Laufbahn 1933 jäh und oft auch für immer unterbrochen wurde. Mit der Übergabe der Promotionsurkunde würdigte die Universität das exzellente Wissen der Kinderärztin und erkannte zugleich das von der Hamburger Alma Mater den jüdischen Studenten und Ärzten zugefügte Unrecht an. Diese Haltung gehört nunmehr zu einer vielfältig gewachsenen antifaschistischen Erinnerungskultur, inzwischen von AfD über Pegida bis in die Neonaziszene geschmäht und angegriffen.
Im September 938 gelang es der Assistenzärztin am jüdischen Krankenhaus, dank der Bürgschaft entfernter Verwandter, ein Einreisevisum für die USA zu erhalten. Ihr medizinisches Staatexamen wurde im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht anerkannt. Es fehlte der in Hamburg verhinderte »Dr. med«. Mithilfe eines Stipendiums konnte sie nach zwei Jahren am Women`s College in Pennsylvania den »Medical Doctor« erwerben. Dort freundete sich Ingeborg mit einer hochgebildeten Mitstudentin an, die sich für soziale Gerechtigkeit, die Rechte von Schwarzen und Minderheiten einsetzte und sich gegen den Hitlerfaschismus empörte. Zum ersten Mal traf sie eine Linke, die der deutschen Immigrantin die Augen öffnete über die »Rassentrennung« von Weißen und Schwarzen. Bei Praktika in Krankenhäusern erlebte sie Patienten, auch Kinder, denen sie nicht mehr helfen konnte, da sie durch armutsbedingte Krankheiten starben. Ihre Fragen nach den Ursachen dieser gesellschaftlichen Misere führten die angehende Ärztin weiter nach links.

2002 erschienen ihre Memoiren: »Meine ersten drei Leben«.

2002 erschienen ihre Memoiren: »Meine ersten drei Leben«.

In ihrer Ausbildung traf die Assistenzärztin indes auf hervorragende Lehrer. Ihr Wunsch Kinderärztin zu werden, verbunden mit ihrer Neigung in der Forschung zu arbeiten, erfüllten sich an der University of Cincinnati. Dort erlebte sie eine »Atmosphäre des großen Fragens« und den »Rausch einer forschungsorientierten Medizin.« Bald begegnete sie dem aus Österreich geflohenen Biochemiker Mitja Rapoport. Ein großartiger Wissenschaftler, Lehrer und ein überzeugter Linker. Mit 19 Jahren kämpfte er in Wien gegen die rechtsradikale Heimwehr und wurde Kommunist. Mit Duldung des ihm wohlgesonnenen Direktors konnte er nach der allgemeinen Arbeitszeit illegal seine Forschungsarbeiten im medizinisch-chemischen Institut durchführen. Ein Professor aus Cincinnati interessierte sich für seine Arbeiten und schuf die Voraussetzungen, dass er an der Uni arbeiten konnte.
Ingeborg und Mitja Rapoport wurden ein Paar. Sie erwarben nach einer Prüfung über die USA-Geschichte und die Verfassung des Landes die Staatsbürgerschaft. Ebenso ihre in Cincinnati geborenen Kinder Tommy, Meiki und Fufu. Ihre Eltern schlossen sich der kleinen und angefeindeten Kommunistischen Partei an. Als sie 1950 erfuhren, dass sie vor dem »Komitee für unamerikanisches Verhalten« aussagen sollten, entschlossen sie sich mit ihren Kindern sofort zur Flucht nach Österreich.
Die Berufung Mitja Rapoports als Professor zog die Universität in Wien auf Druck des CIA bald zurück. 1952 erreichte den inzwischen weltbekannten Biochemiker der Ruf an die Humboldt-Universität. 1953 erhielt Ingeborg Rapport ihre Approbation als Fachärztin für Kinderheilkunde. 1959 habilitierte sie sich am Institut für Biochemie, arbeitete seit 1960 an der Kinderklinik der Charité, wurde 1964 ordentliche Professorin für Pädiatrie und war ab 1969 bis zu ihrer Emeritierung im Jahre 1973 Inhaberin des ersten europäischen Lehrstuhls für Neonatologie.
Rapoports haben 1990 mit vielen anderen den Bund der Antifaschisten in Pankow gegründet. Sie wandten sich gegen die Mär vom »verordneten Antifaschismus«. Auf Vorträgen und in öffentlichen Diskussionen verteidigte und pries Ingeborg Rapoport das DDR-Gesundheitssystem für seine Gleichbehandlung aller Patienten. Es sei die beste Gesellschaft, die sie erlebt habe, war ihr Resümee eines erfüllten langen Lebens. Am 23. März verstarb die Ärztin, Wissenschaftlerin und Antifaschistin im Alter von 104 Jahren. Eine wunderbare Frau.

 

Bei youtube findet sich ein Interview mit Ingeborg Rapoport: https://www.youtube.com/watch?v=g104rimDXAw