Deutsche Großmachtträume platzen lassen
16. Mai 2017
Eindrücke vom 6. Bundeskongress der VVN-BdA
Mathias Wörsching, Vertreter der Berliner Vereinigung im Bundesausschuss:
Was eine der Hauptstärken der VVN-BdA ist, hat unsere 70-Jahr-Feier wieder einmal eindrucksvoll gezeigt: Es ist unser historisches antifaschistisches Erbe. Wir tragen dieses Erbe, weil wir die alten Widerstandskämpfer/-innen und Verfolgten teilweise über Jahrzehnte hinweg in der VVN-BdA erlebt haben und noch erleben, weil sie uns als politische Persönlichkeiten und unsere Organisation geprägt haben. Viele von uns haben überdies einen familiären Bezug zum »Narrativ von Verfolgung und Widerstand«, wie der Berliner Vorsitzende Hans Coppi das einmal genannt hat.
Ich glaube, unser historisches Erbe kann auch für viele heutige Antifaschist/-innen attraktiv sein, weil es einen anderen, tieferen, persönlicheren Zugang zum Verständnis von Geschichte und Gegenwart ermöglicht – und auch, weil es erlaubt, sich selbst in eine große und lebendige Tradition zu stellen. Wir müssen es schaffen, unsere Geschichten von Verfolgung und Widerstand für die heutige Gesellschaft neu zu erzählen. Damit meine ich nicht nur die Art und Weise des Erzählens, nicht nur die Medien und Formate, sondern auch die Inhalte selbst.
Wir müssen die Geschichte so erzählen, dass es keine Heldengeschichte von »starken Männern« wird. Auch unsere Schwächen, Brüche, Probleme und Niederlagen sollten deutlich werden.
Wenn wir es schaffen, unsere Geschichten so zu erzählen, dass auch Menschen darin Anknüpfungspunkte finden, die vielleicht keine weißen deutschen Vorfahren haben, oder zum Beispiel auch Menschen mit einem feministischen Zugang zum Antifaschismus, oder Menschen mit Behinderung, dann mache ich mir um die Zukunft der VVN-BdA keine Sorgen.
Florian Gutsche, über mehrere Jahre Vertreter der VVN-BdA im internationalen antirassistischen Jugendnetzwerk UNITED; vom Bundekongress als Bundessprecher gewählt:
Internationalismus ist elementarer Bestandteil des Antifaschismus. Das hat der letzte Bundeskongress deutlich gezeigt. Jedoch darf es nicht dabei bleiben an vergangene Kämpfe zu erinnern. Dem allgemeinen Erstarken nationalistischer Kräfte in Europa müssen wir ein starkes Netz antifaschistischer Kontakte und Zusammenarbeit entgegensetzen. Dabei ist es wichtig sich über funktionierende Ansätze antifaschistischer Politik in unserer alltäglichen Arbeit auszutauschen. Gleichzeitig sollten wir jedoch auch lernen was nicht funktioniert, damit wir nicht unnötige Fehler wiederholen.
Eine stärkere internationale Vernetzung der VVN-BdA hat jedoch auch ganz praktische Folgen für die Zukunft unseres Verbands. So ist gelebter Internationalismus auch immer ein positives Stück der Erfahrungswelt unserer Mitglieder und spornt zu weiterem antifaschistischen Engagement an. Außerdem können wir als Verband hier auch potenziellen Mitgliedern ein Angebot machen, das sie für die VVN-BdA begeistert. Wie so etwas funktionieren kann zeigt das Projekt »Der Zug der Tausend«, welches wir mit der FIR und besonders mit unseren belgischen Freunden durchführen.
Ein solches Verständnis der Relevanz internationaler Zusammenarbeit bedeutet sich auch auf europäischer Ebene für unsere Interessen einzusetzen. Auf kommunaler, Länder- und nationaler Ebene machen wir das erfolgreich indem wir mit antifaschistischen Parlamentariern zusammenarbeiten. Solche gibt es auch im Europaparlament. Trotz dessen Schwäche im System der europäischen Institutionen müssen wir hier einen weiteren Hebel ansetzen, um zusammen mit anderen Organisationen eine Ausweitung extremismustheoretischer Gedankenspiele und mäßig versteckter Geschichtsklitterung etwas entgegenzusetzen.
Günter Pierdzig ist Kreisvorsitzender der VVN-BdA Bamberg und Koordinator von mehr als 50 lokalen Bündnissen gegen Rechts in Nordbayern:
Gedenkarbeit ist das Fundament für unser Handeln heute und morgen.
Besonders für die Erinnerung und Aufarbeitung regionaler Geschichte des Faschismus zeigen auch jüngere Menschen großes Interesse. Für den aktuellen Widerstand gegen NeofaschistInnen und RassistInnen ist unsere Gedenkarbeit zugleich Rückgrat und Motivation.
Dieser Widerstand kann und muss immer auch im Bündnis geschehen.
Bündnisarbeit als gemeinsamer Wille zur Gegenwehr gegen Auftritte und Ideologie von FachistInnen ist gezeichnet von der gesellschaftlichen Breite der Teilnehmer.
Der spezifische Beitrag der VVN/BdA ist dabei:
Wir haben einen Wissensvorsprung: wir haben oder sollten zumindest weiterreichende Kenntnis haben über die Geschichte, über Ideologie und Strukturen der Nazis. Solange hier VVN/BdA-VertreterInnen beratend tätig sind, ohne Absolutheitsanspruch und ohne sich in den Vordergrund drängen zu wollen, wird unsere Organisation als willkommener und kompetenter Partner akzeptiert.
Wir haben einen Organisationsvorsprung: wir können unseren Organisationsapparat und die Arbeitskraft unserer Mitglieder beratend und unterstützend einbringen. Unsere Zurückhaltung ist dabei wichtig, denn wir wollen möglichst viele Menschen in die Arbeit gegen rechts einbinden.
Wir haben einen (entscheidenden) Geschichtsvorsprung: Die Autorität der Personen, die den Nationalsozialismus selbst oder in ihren Familien erlebt haben und unsere Organisation in sich als »Vereinigung der Verfolgten« ist moralisches Faustpfand für antifaschistische Kontinuität und somit für einen überzeitlichen Widerstand.
Die Erfahrungen der Geschichte führten zur Einheit im Kampf gegen Faschismus.
Daraus resultierend ist unsere spezifische Aufgabe (nicht nur) in Bündnissen, immer wieder die Einheit zu suchen und -trotz unterschiedlicher Anschauungen- konsensfähige Lösungen zu finden.
Dabei sind wir keiner Weltanschauung oder Partei verpflichtet. In ihrer Vielseitigkeit liegt die Stärke der VVN/BdA. Jede Verengung schwächt uns, weil andere Auffassungen und damit andere Mitstreiter ausgegrenzt werden. Wir stellen nicht unterschiedliche politische Anschauungen in den Mittelpunkt, sondern immer wieder den Konsens im gemeinsamen Anliegen: die Zurückdrängung faschistischer Kräfte und Ideologie.