Leserbrief
19. Mai 2017
Vergesst nicht unsere Opfer!
Die Zeugen Jehovas wurden in der Nazizeit gnadenlos verfolgt
Bundespräsident Roman Herzog ahnte wohl nicht, dass die Einführung des Holocaust-Gedenktages seit 1996, jeweils am 27. Januar, eine so starke Resonanz haben würde. Er legte großen Wert darauf, dass an alle NS-Opfergruppen erinnert wird.
Im Jahre 2003 äußerte sich der baden-württembergische Landtagspräsident Peter Straub in einer Rede zu diesem Gedenktag wie folgt: »Unsere Hochachtung, die sich in Worten nur schwer ausdrücken lässt, gilt deshalb allen, die um ihres Glaubens oder ihres politischen Bekenntnisses willen Verfolgung erlitten und die eher den Tod hinzunehmen gewillt waren, als sich zu beugen. Völlig verweigert haben sich den Ansprüchen des Hitler-Regimes als Religionsgemeinschaft nur die Zeugen Jehovas. Sie hoben die Hand nicht zum Hitlergruß, sie verweigerten den Eid auf Führer und Staat ebenso den Wehr- und Arbeitsdienst und ihre Kinder traten nicht in die Hitlerjugend ein.«
Ja, Jehovas Zeugen leisteten gewaltlosen geistigen Widerstand aus christlicher Überzeugung. Jesus Christus sagte über seine Nachfolger: »Sie sind kein Teil der Welt, so wie ich kein Teil der Welt bin«, gemäß Johannes 17:16. Die Haltung der Zeugen Jehovas hatte also ausschließlich religiöse Gründe.
Peter Straub sagte weiter: »Die Zeugen Jehovas, die als KZ-Häftlinge einen lila Winkel an der Kleidung tragen mussten, waren die einzigen, die das Ende des Martyriums durch eigenes Handeln hätten herbeiführen können, es hätte genügt, einen Revers zu unterschreiben, in dem sie ihrem Glauben abschworen.«
Jehovas Zeugen vertraten die Einstellung: »Wir müssen Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als den Menschen, gemäß Apostelgeschichte 5:29.«
Dr. Michael Berenbaum, Historiker am Holocaust Memorial Museum in Washington/USA, sagte betreffs der Zeugen Jehovas: »Man muss sich einmal vorstellen, wie viel Mut es kostet, anders zu sein. Man kommt in einen Raum und hört die Worte ›Heil Hitler!‹, und das sagt jemand: ›Guten Morgen!‹ Dieses Verhalten zeugt von einzigartiger Zivilcourage.«
Etwa 2000 Zeugen Jehovas verloren unter dem NS-Regime ihr Leben, darunter über 360, die wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet wurden. Der Historiker Andreas Röpcke schreibt in seiner Dokumentation »Tödliche Verweigerung« über Zeugen Jehovas: »Dem Totalitätsanspruch des national-sozialistischen Systems waren die Verkündiger von Jehovas Königreich unerträglich.«
Als erste religiöse Vereinigung wurden Jehovas Zeugen 1933 verboten. Die Verweigerung des Fahneneids brachte viele vor das Reichskriegsgericht. Viele Zeugen Jehovas wurden zum Tode verurteilt, kamen während der NS-Zeit ins Gefängnis oder ins KZ.
Diese kleine Glaubensgemeinschaft, die Hitler so erboste, dass er sie auszumerzen wünschte, bewies imponierende Festigkeit und Prinzipientreue in der Verfolgung. Keine andere Religionsgemeinschaft ist von den Nationalsozialisten so unerbittlich verfolgt worden. Das Naziregime, das innerem Widerstand stets nur mit brutaler Gewalt begegnen konnte, hat es bis 1945 nicht vermocht, die Kraft der Zeugen Jehovas zu brechen. Geschwächt, doch ungebeugt, gingen sie aus der Zeit der Verfolgung hervor.
An alle NS-Opfergruppen zu erinnern, gehört zu den Wegen gegen das Vergessen.