Auffällige Zurückhaltung

geschrieben von Christian Rethlaw

9. August 2017

Es klingt wie ein schlechter Scherz oder erweckt den Eindruck von Schwarz-Weiß-Malerei, ist aber bittere Wahrheit: Strafverfolgungsbehörden zeigen Nachlässigkeit und Milde gegenüber Neonazis. Hingegen bekommen Nazigegner die volle Härte der Strafverfolgungsbehörden – wie zuvor von der Polizei – zu spüren, wenn sie es wagen, sich Neonaziaufmärschen entschieden, z.B. mit Blockaden, entgegenzustellen.

Im Mai vergangenen Jahres hatten Antifaschisten gegen einen Legida-Aufmarsch (dem Leipziger, noch radikaleren Ableger der Dresdner Pegida) mit einer Blockade protestiert. Von den Nazigegnern wurden daraufhin hohe Bußgelder verlangt. Als jedoch im Februar 2015 Legida-Anhänger trotz eines ausdrücklichen Verbots aufmarschierten, blieb das ohne Konsequenz. Die Landesdirektion Sachsen riet der Leipziger Versammlungsbehörde sogar ausdrücklich ab, Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten.

Als Mitte Juni die »Identitären« wieder aufmarschierten, wurde in Medien festgestellt, dass Aktionen der Identitären in der Regel auch dann folgenlos bleiben, wenn sie gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen, wie beispielsweise bei der spektakulären »Besetzung« des Brandenburger Tores im August 2016. Danach eingeleitete Verfahren wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs bzw. der Nötigung wurden eingestellt.

Eingestellt wurde auch das Verfahren wegen »geringer Schuld« und weil »kein öffentliches Interesse« bestehe, gegen vier Schläger, die im Mai 2016 im Landkreis Bautzen einen psychisch kranken Flüchtling an einen Baum gebunden hatten. Der Flüchtling starb kurz darauf.

Anfang Juni stellte die »taz« fest, dass die Dresdner rechtsradikale Hooligangruppe »Faust des Ostens« bereits »seit Jahren Straftaten« begehe. Eine Anklage sei zwar schon vor vier Jahren erhoben worden; ein Gerichtsverfahren fand bis dato nicht statt.

Den Vogel in dieser Reihe auffälliger Besonderheiten schoss das Landgericht Koblenz ab: Der bis dahin größte Neonazi-Prozess gegen ursprünglich 26 Beschuldigte des »Aktionsbüros Mittelrhein« schleppte sich nahezu fünf Jahre dahin; die Zahl der Beschuldigten reduzierte sich auf siebzehn. Schließlich wurde der Prozess im Mai dieses Jahres wegen »überlanger Verfahrensdauer« ergebnislos eingestellt. Der Vorsitzende Richter des Prozesses scheide wegen Erreichung der Altersgrenze aus dem Dienst aus, so dass der Prozess dann ohnehin hätte beendet werden müssen, hieß es; ein Ergänzungsrichter stehe nicht zur Verfügung.