Als »Asoziale« abgestempelt
24. September 2017
Jahrzehnte lang blieben Opfer sozialrassistischer Verfolgung ausgegrenzt
Die jahrzehntewährende Auseinandersetzung um Anerkennung der Opfer des Faschismus war über lange Zeit bemüht, ausreichende gesundheitliche und materielle Versorgung zu erstreiten. Dies betraf vor allem politische Häftlinge, rassisch und religiös Verfolgte. Entschädigungen, die gezahlt wurden, mussten oftmals mühsam gegen Beamte erstritten werden, die zur Verfolgungssituation beigetragen hatten. Einer großen Anzahl Verfolgter, vor allem Kommunisten, wurden sie mit dem Kalten Krieg nachträglich wieder aberkannt. Ausgenommen aus dem Bundesentschädigungsgesetz blieben Opfer des Faschismus, die bei weitgehendem Fortbestand der 1933/45 verschärften Strafgesetze oft vom selben bürokratischen Personal weiterverfolgt wurden, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma, Opfer der NS-Militärjustiz. Das Gutachtenwesen der Gesundheitsbehörden bestand unter dem alten Personal bis spät in die siebziger Jahre im alten Geiste fort. Zwangssterilisierte, Euthanasieopfer wurden zu Schattenwesen gestempelt. Auch innerhalb der Verfolgtenorganisationen bedurfte es eines Generationswechsels, um die Frage nach den vergessenen Opfern auf die Tagesordnung zu setzen. Nicht selten waren es leidvolle Erfahrungen aus KZ-Haft und Zuchthaus, die politische Verfolgte misstrauisch oder skeptisch gegenüber ausgegrenzten Verfolgtengruppen bleiben ließ. Seit den 80er Jahren entwickelt sich die Aufarbeitung der persönlichen Schicksale marginalisierter Betroffener durch Befragungen, Aufarbeitung von Akten, Gründung von Selbsthilfegruppen.
In diesem Jahr erscheint eine aktuelle Aufsatzsammlung unter dem Titel »Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus«. 18 Autoren setzen sich mit den Schwierigkeiten des Gedenkens an Menschen auseinander, die während des Faschismus als minderwertig angesehen, als »asozial«, »arbeitsscheu«, »kriminell« verfolgt, als vermeintlich schwachsinnig stationär weggesperrt und durch Schläge und Nahrungsentzug zu Tode gebracht wurden, soweit sie nicht als arbeitsfähig von Nutzen waren. Auslese durch staatliche Eingriffe, so verdeutlicht die Herausgeberin Anne Allex, ist rassistisch motiviert. Dirk Stegemann zeichnet die Schritte gesetzlicher Erfassung, Kasernierung und Ausgliederung randständiger Gruppen während des Faschismus nach. 70.000 trugen Wolfgang Ayaß zufolge in den KZ den Schwarzen Winkel.
Um die Entwicklung und Folgen der Eugenik geht es Heike Zbik. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise, als mehr als ein Drittel der Bevölkerung in einem Arbeitslosenhaushalt lebte, sollte rücksichtslos eingegriffen werden. Mit Zwangssterilisierungen wollte man Erbkrankheiten begegnen. Das traf in den folgenden zwölf Jahren 400.000 Menschen. »Ausgemerzt« werden sollte alles, was als schädlich und gefährlich galt. Das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14.07.1933 bot Handhabe zur zunächst befristeten, in der zweiten Kriegshälfte unbegrenzten Wegsperrung. Das Ehetauglichkeitszeugnis bot den Amtsärzten eine Handhabe zur Überprüfung der persönlichen Verhältnisse. Mit Zwangssterilisation sollten Blinde, Taubstumme, Epilepsiekranke, unter Schizophrenie Leidende ausgegliedert werden. Unter dem Schutz des Krieges konnten sie durch Verhungern-lassen, Überdosierung oder Absetzen von Medikamenten ermordet werden.
Erschütternd waren die Bedingungen in den Unterbringungsorten für Jugendliche, ob Rummelsburg, Mädchen-KZ Uckermark oder Frauengefängnis Barnimstraße. Kriminalpräventiv wurde in großem Umfange Vorbeugehaft verhängt. Die Fürsorgeämter arbeiteten den Reichskriminalämtern zu, irgendwie auffällig gewordene Jugendliche, ledige Mütter, junge Frauen, die mit Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern befreundet waren, Jugendliche, die verbotene Musik hörten. »Neu war das radikale, unnachsichtige und terroristische Vorgehen« unter faschistischer Herrschaft, hebt Wolfgang Ayaß bereits 2009 in »ausgesteuert – ausgegrenzt … angeblich asozial« hervor. Ulla Jelpke (MdB Linke) kritisiert, dass die sogenannten Asozialen durch das Raster der Entschädigung fielen. Sie bleiben weiter ausgegrenzt, stigmatisiert. Es geht aber darum, vergessenen Opfern die Würde zurückgeben. »Im Zentrum stehen die Würde der Toten und ihre Rückholung in die soziale Welt«, so Anne Allex abschließend.