Rassisten vergiften das Klima
8. Februar 2018
Rede von Marianne Wilke am 6. Dezember auf der Kundgebung in Hannover
Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme aus Schleswig- Holstein, wo ich seit etlichen Jahren als so genannte Halbjüdin nach Lesart der Nazi- Rasseideologen aus meiner Kindheit und Jugend unter dem Hitlerfaschismus erzähle. Ich bin 88 Jahre alt, in einem Alter also, wo sich viele Menschen ins heimische Wohnzimmer zurückziehen, und nicht auf Demos und Kundgebungen gehen.
Aber kann man das, liebe antifaschistischen Freundinnen und Freunde, wenn in diesem Land, in dem Millionen von Juden, Sinti- und Roma- Familien, Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Pazifisten wegen ihrer Abstammung und politischen Gesinnung ermordet wurden, wenn heute Träger faschistischer Ideologien, Rassisten und Faschisten erneut das innenpolitische Klima vergiften – mit großzügiger Genehmigung von Regierungen und deren Vollzugsorgane?
Ich habe an einer Versammlung der Afd teilgenommen, auf der Doris von Sayn-Wittgenstein, Landesvorsitzende der Afd und Mitglied im schleswig-hosteinischem Landtag vor einer »Rassenmischung« gewarnt hat. Liebe Freunde, meinen Eltern hat man damals »Rassenschande« vorgeworfen. Dahin ist es doch nur ein kleiner Schritt!
Bert Brecht hat vor Jahrzehnten geschrieben »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.« Leider wurden seine Worte nicht zur Kenntnis genommen. Wieder einmal müssen sich Millionen Menschen vor allem in Deutschland die Frage stellen: »Wie konnte das geschehen ? Wer trägt die Schuld?
Seit ich politisch denken kann – und das fing bereits 1945 an , als wir erfuhren, dass die Nazis meine Großeltern , Onkel und Tanten wegen ihrer jüdischen Herkunft ermordet hatten – haben Medien immer wieder gefordert, die Vergangenheit ruhen zu lassen und nach vorn zu blicken. Nun müsse doch endlich einmal Schluss sein mit den Fragen nach Naziverbrechen und ihren Ursachen. Und heute werfen uns die Rechtsaußen der AfD vor, einem Schuld- Kult zu huldigen, wenn wir in Erfüllung unseres von den Ermordeten und Überlebenden übernommenen Auftrags fordern: Nie wieder Auschwitz, nie wieder Faschismus und Krieg, wenn wir der jungen Generation ans Herz legen, auf die Musikband »Die Ärzte« zu hören, die gesungen haben: »Du bist nicht Schuld daran, dass die Welt ist, wie sie ist, doch Du wärst Schuld daran, wenn sie so bleibt.«
Habt den Mut, im Sinne des Schwurs der Überlebenden des KZ Buchwald zu handeln, die auf der Befreiungsfeier auf dem Appellplatz geschworen haben: Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Die so genannten Verfassungsschützer versuchen heute, diesen Schwur von Buchenwald , der längst zum kulturellen Erbe des antifaschistischen Europa gehört, zu diskreditieren und in den Dreck zu ziehen. Lassen wir das nicht zu, liebe Freunde, seien wir solidarisch mit den Opfern des Faschismus in allen Ländern und seien wir vor unserer eigenen Haustür solidarisch mit denen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten und hoffen, dass wir unser Grundgesetzt achten, in dem es in Artikel 1 heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar; und das gilt für alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe oder Religion.
Ich danke Euch, liebe Freundinnen und Freunde. dass ihr hier seid. Lassen wir uns nicht spalten, bleiben wir eng zusammen. Wir sind stärker!
Marianne Wilke war viele Jahre Landesvorsitzende der VVN-BdA in Schleswig-Holstein. Am 6. Dezember sprach sie auf der Kundgebung eines breiten Bündnisses gegen den AfD-Parteitag in Hannover.