»Den Lebenstraum erhalten«

geschrieben von Christoph Leclaire/ Ulrich Schneider

7. April 2018

Hans Gasparitsch würde jetzt 100 Jahre alt

Wir erinnern diesmal an einen Mitbegründer der VVN, der viele Jahrzehnte in Stuttgart aktiv für antifaschistische Ideen eingetreten ist. Hans Gasparitsch (*30. März 1918) wuchs im Arbeiterviertel Ostheim auf und wurde durch seine Eltern sozialistisch und pazifistisch geprägt. Schon als Kind wanderte er mit den Naturfreunden und trieb Sport im Arbeiter-Schwimmverein. Zeitweilig war er auch bei den Roten Falken organisiert. In seiner Freizeit las Hans sehr viel – sozialkritische und humanistische Literatur. Im Jahre 1932 begann Hans eine Lehre als Schriftsetzer, da sein Vater arbeitslos wurde und das Schulgeld für die Realschule nicht mehr zahlen konnte.

Nach der Machtübertragung an die Nazis setzten Hans und seine Freunde – die meisten aus dem Arbeiter-Schwimmverein – ihre gemeinsamen Wanderungen fort. Sie vereinte ihre Abneigung gegen die Nazis, die HJ und deren Zwangsmaßnahmen. Die illegale Wandergruppe wurde durch die Erfahrung der faschistischen Wirklichkeit politisiert. Schließlich bildete sich im Herbst 1933 hieraus die »Gruppe G« (G für Gemeinschaft). Die Jugendlichen hielten konspirative Treffen ab, gaben sich Tarnnamen (Hans hieß Micha), diskutierten, bildeten sich politisch, druckten und verteilten Flugblätter und malten Parolen an die Wände.

Nach einer Aktion der Gruppe im Frühjahr 1935, bei der Hans »Hitler = Krieg« und »Rot Front« an die Sockel zweier Statuen im Stuttgarter Schlossgarten schrieb, wurde er verhaftet. Das Urteil für den 17jährigen lautete: zweieinhalb Jahre Gefängnis. Nach seiner Haft auf dem Oberen Kuhberg in Ulm kam er – weil »das Strafziel nicht erreicht war« – in die KZ Welzheim, Dachau, Flossenbürg und Buchenwald. Durch die Solidarität der politischen Häftlinge überlebte Hans in zweifacher Hinsicht die Konzentrationslager. Psychisch, weil er durch sie nicht gebrochen werden konnte, und physisch, weil er durch sie vor dem »Todeskommando Steinbruch« gerettet wurde. Diese in den KZ erfahrene Solidarität und Menschlichkeit machten Hans zum überzeugten Kommunisten. Am 11. April 1945 war er an der Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald beteiligt und leistete zusammen mit den Überlebenden auf dem Appellplatz am 19. April 1945 den »Schwur von Buchenwald«, dem er sein ganzes Leben verpflichtet blieb.

Nach seiner Rückkehr nach Stuttgart engagierte er sich als Mitglied der KPD für den Aufbau eines neuen Deutschlands. 1947 gehörte Hans zu den Mitbegründern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes im Südwesten. In der DDR wurde es ihm ermöglicht, das Abitur zu machen und Journalismus zu studieren. In der BRD musste er diesen Beruf wieder aufgeben, weil die Zeitungen »Volksstimme« und »Badisches Volksecho« im Zuge des KPD-Verbotes verboten wurden. Keine andere Zeitung war bereit, einen kommunistischen Redakteur einzustellen. Zusammen mit seiner Frau Lilly hielt er sich mit einem Milchladen über Wasser. Durch ein Fernstudium der Architektur baute sich Hans eine neue berufliche Existenz auf.

Hans Gasparitsch auf einer Demo in Mössingen am 29.1.1983; Foto: H. Meister

Hans Gasparitsch auf einer Demo in Mössingen am 29.1.1983; Foto: H. Meister

Im Jahre 1960 wurden die von ihm und drei anderen Überlebenden der Widerstandsgruppe niedergeschriebenen Erinnerungen als Buch »Die Schicksale der Gruppe G« in der DDR verlegt. In der BRD erschien erst im Jahre 1994 unter dem Titel »Hanna, Kolka, Ast und andere…« eine aktualisierte Neufassung dieses Buches.

Vor allem den jungen Generationen wollte Hans seine Erlebnisse und Erfahrungen im Kampf gegen den Faschismus vermitteln. So besuchte er immer wieder Schulen und Universitäten, führte Gruppen durch die Gedenkstätten Dachau, Oberer Kuhberg und Buchenwald und begleitete antifaschistische Stadtrundfahrten in Stuttgart.

Hans engagierte sich bei allen wichtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen: Kampf dem Atomtod, Ostermärsche, Nein zu Pershing II, Bundeswehr in alle Welt – Wir sagen Nein, Gegen die Berufsverbote und Für den Erhalt des Asylrechts.

Darüber hinaus setzte er sich als Vorsitzender des Trägervereines Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg in Ulm, in der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora und als Autor in der »Glocke vom Ettersberg« für den Erhalt und Ausbau von Gedenkstätten für NS-Opfer ein.

Seiner kommunistischen Überzeugung ist Hans stets treu geblieben: »Was ich mir in den Schriften und Büchern der Sozialisten, Pazifisten und Humanisten als meinen Lebenstraum herausgelesen hatte, das wollte ich mir und der ganzen Jugend erhalten: Soziale Gerechtigkeit für alle, Toleranz und Freundschaft mit allen, Kultur und Bildung für jeden – über alle Grenzen hinweg. Und Frieden für alle Völker der Welt. Das ist mein Traum – auch heute noch!«

Erst im Mai 2000 erhielt Hans auf Initiative der Gewerkschaften für sein antifaschistisches Engagement von der BRD eine Anerkennung, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Hans Gasparitsch starb am 13. April 2002 nach schwerer Krankheit in Stuttgart.

Die Erinnerung an ihn ist lebendig. Geschichtsprojekte begeben sich »auf die Spuren von Hans Gasparitsch« und seit Oktober 2014 trägt das Stadtteilzentrum Stuttgart Ostheim seinen Namen.

Zum 100. Geburtstag von Hans Gasparitsch hat die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis eine 70seitige Broschüre mit Interview-Texten, Beiträgen, Dokumenten und Bildern herausgegeben.

Bestellungen entweder über den vvn-online-shop oder die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora, p.A. VVN-BdA Hessen, Eckenheimer Landstr. 93, 60318 Frankfurt/M.