Völkisch verbunden
10. April 2018
Struktur, Inhalte und Geschichte vieler Burschenschaften und Studentenverbindungen
Burschenschaft, Turnerschaft, Corps, Katholische Verbindung, Sängerschaft, Wingolf: Die Vielfalt der deutschen Studentenverbindungen ist verwirrend. Oft werden Verbindungsstudenten, die sich mit Traditionskappe und Band in der Öffentlichkeit zeigen, pauschal mit Burschenschaftern identifiziert – ein doppelter Kurzschluss. Denn nicht jeder Verbindungsstudent ist Burschenschafter, und nicht jeder Verbindungsstudent trägt Farben.
Studentenverbindungen (gleichwertige Bezeichnung Korporationen) gibt es in verschiedenen Ausprägungen, Burschenschaften sind eine davon. Die verschiedenen Arten von Studentenverbindungen unterscheiden sich in Manchem voneinander, sie haben aber auch ihre Gemeinsamkeiten. Gemeinsamkeiten, die im 19. Jahrhundert ihre heute gültige Form erhalten haben und die Burschenschaften mit allen anderen Studentenverbindungen teilen.
Gemeinsamkeiten
Zu diesen Gemeinsamkeiten zählt zunächst die abgestufte Mitgliedschaft. Wer in eine Studentenverbindung eintritt, ist nicht sofort vollgültiges Mitglied. Zunächst ist man – für ein oder zwei Semester Fux. Der Fux lernt, sich seiner Studentenverbindung anzupassen, er hat Unterricht beim Fuxmajor und einen speziellen Leibbursch für die Alltagsfragen. Nach Ablauf der Fuxenzeit erlebt er seine Burschung.und wird zum Vollmitglied. Als Aktiver soll er in seiner Studentenverbindung Ämter bekleiden (Sprecher, Kassenwart etc.). Nach einigen Semestern wird der Aktive von derartigen Aufgaben entlastet und ist bis zum Ende seines Studiums Inaktiver.
Wir danken dem apabiz Berlin für die Genehmigung, Auszüge aus ihrem Dossier »Burschenschaften & Studentenverbindungen« vom Dezember 2017 zu übernehmen.
Das vollständige Dossier findet sich hier: www.apabiz.de/2017/dossier-burschenschaften-studentenverbindungen/
Die Aufnahme der Berufstätigkeit geht mit einem erneuten Statuswechsel zum Alten Herrn einher. Die Alten Herren schließen sich eigens in Altherrenverbänden zusammen, sie tragen einen bedeutenden Teil zur Finanzierung eines Verbindungshauses bei – dies ermöglicht es Studentenverbindungen in der Regel, potentielle Mitglieder mit billigen Wohngelegenheiten zu ködern. Zu den Gemeinsamkeiten zählt auch das Lebensbundprinzip. Wer in eine Studentenverbindung eintritt, bleibt sein Leben lang Mitglied. Das Lebensbundprinzip ist die Ursache dafür, dass Studentenverbindungen Seilschaften herausbilden. Verbindungsstudenten, die im Berufsleben stehen (Alte Herren), protegieren jüngere Verbindungsmitglieder – nicht selten mit Erfolg. So mancher Verbindungsstudent gelangt auf diesem Wege in hohe Positionen, was das Selbstbild der Studentenverbindungen stützt, die akademische Elite zu sein. Auch die Fixierung auf überkommene Traditionen ist bei allen Studentenverbindungen vorzufinden.
Wer in eine Studentenverbindung eintritt, muss zunächst ihre tradierten Verhaltensregeln (Comment) erlernen. Dazu gehören auch Feierriten, sogenannte Kneipen, bei denen nach festgelegten Regeln gesungen, gelacht und getrunken wird. Die Kneipe ist Erziehungsmittel und begünstigt den strukturellen Konservatismus der Studentenverbindungen. Das Mitglied lernt, sich in vorgegebenen Strukturen zu bewegen.
Unterschiede
Die allermeisten Studentenverbindungen sind Männerbünde. Wenige Korporationen haben in den 1970er Jahren begonnen, auch Frauen aufzunehmen – manchmal einfach aus Mitgliedermangel und Finanznöten. Es gibt auch einige Studentinnenverbindungen. Sie nehmen nur Frauen auf, sind aber strukturell am Vorbild rein männlicher Studentenverbindungen orientiert, abgesehen von Unterschieden, die sich aus überkommenen Geschlechterklischees ergeben: Verbindungsstudentinnen trinken oft Wasser und Sekt statt Bier. Studentinnenverbindungen sind in Österreich häufiger zu finden als in Deutschland. Sie stellen eine Möglichkeit für Frauen aus dem korporierten Umfeld – seien es Töchter von Korporierten oder Couleurdamen – dar, sich eigenständig nach ihren Werten zu organisieren.
Nicht alle Studentenverbindungen tragen Farbe (Kappe und Band), nicht alle tragen Zweikämpfe mit scharfen Waffen aus (Mensur). »Schlagende Verbindungen« nennt man diejenigen, deren Mitglieder Mensuren fechten – schwere Verletzungen können die Folge sein. Im Gesicht zurückbleibende Narben heißen Schmiss, sie dienen Mitgliedern schlagender Verbindungen als ehrenhaftes Erkennungszeichen. Und schließlich: Viele Studentenverbindungen nehmen nur Deutsche auf. Oft zählt dabei nicht die Staatsangehörigkeit, sondern die Abstammung.
Burschenschaften
Burschenschaften verstehen sich – im Unterschied zu anderen Studentenverbindungen – als dezidiert politische Organisationen, allerdings nicht im Sinne von »parteipolitisch« – die Parteimitgliedschaften von Burschenschaftern reichen von SPD über CDU/CSU und AfD bis zur NPD. Die politischen Aktivitäten der Burschenschaften beziehen sich vielmehr vor allem auf die Themen ihres Wahlspruchs »Ehre, Freiheit, Vaterland«.
Kern burschenschaftlichen Denkens ist die völkische Ideologie, nach der sich die Menschheit in verschiedene »Völker« unterteile, die sich grundsätzlich und unabänderlich voneinander unterscheiden. Dem »deutschen Volk« kommt in burschenschaftlicher Politik eine besondere Rolle zu.
Antisemitismus
Schon immer galt das Judentum in der völkischen Ideologie nicht als Religion, sondern als »Volk«. Entsprechend brach auch in den Burschenschaften schon früh ein virulenter Antisemitismus durch. »Wehe über die Juden« riefen Burschenschafter, als sie beim Wartburgfest im Jahr 1817 neben dem antifeudalen französischen Code Napoleon auch eine Schrift des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher ins Feuer warfen. Im Jahr 1896 gab der Dachverband der Burschenschaften »der Erwartung Ausdruck, daß auch in Zukunft die Burschenschaften in ihrer ablehnenden Haltung gegen die Aufnahme jüdischer Studierender einmütig zusammenstehen werden«.
Pronazistische Positionen
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Burschenschaften wegen ihrer Opposition zu den zersplitterten Feudalaristokratien zeitweise verboten. Dies änderte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte, insbesondere mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871. Burschenschaften entwickelten sich nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Hort der Reaktion gegen die Weimarer Republik, Burschenschafter organisierten sich in Freikorps, kämpften bewaffnet gegen sich organisierende Arbeiter und unterstützten den Hitler-Putsch vom 9. November 1923.
»Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt und wofür wir im Geiste der Burschenschafter von 1817 (…) gearbeitet haben, ist Tatsache geworden«, hieß es in einer offiziellen burschenschaftlichen Stellungnahme zum 30. Januar 1933. Der Gleichschaltung durch die Naziherrschaft, die sie selbst mit herbeigeführt hatten, mussten sich schließlich auch die Burschenschaften beugen. In »Kameradschaften« umbenannt, wurden sie dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) eingegliedert. Einige Burschenschaften führten unter dieser Bezeichnung ihre Aktivitäten fort, sogar während des Krieges konnten manche auch neue Mitglieder aufnehmen.
Wegen ihrer vor 1945 eindeutig pronazistischen Positionen wurden die Burschenschaften nach der Befreiung verboten. »Die Militärregierung gestattet nicht die Bildung von Korporationen oder Corps alten Stils«, verfügte die britische Besatzungsmacht im November 1945, die US-Behörden zogen im März 1947 nach. Schon gegen Ende der 1940er Jahre setzten die Westalliierten das Verbot jedoch nicht mehr durch, es kam zur Wiedergründung von Burschenschaften. Nur in der DDR blieben Studentenverbindungen offiziell verboten.
Organisationsstruktur
Burschenschaften sind grundsätzlich Einzelorganisationen mit einer individuellen Sondertradition. Häufig gibt es mehrere Burschenschaften an einem Hochschulort; sie unterscheiden sich durch ihre Namen (z.B. Aachener Burschenschaft Alania, Aachener Burschenschaft Teutonia), haben jeweils eigene Farben (z.B. blau-rot-gold, schwarz-rot-gold) und eine eigene Sondertradition. Burschenschaften mit identischen Teilnamen (z.B. Aachener Burschenschaft Teutonia, Freiburger Burschenschaft Teutonia) können durchaus unterschiedliche Farben und unterschiedliche Sondertraditionen haben, sie stehen einander nicht unbedingt nahe.
Es gibt drei burschenschaftliche Dachverbände: die 1950 wiedergegründete Deutsche Burschenschaft (DB, derzeit rund 65 Burschenschaften), die 1996 durch Abspaltung aus der DB hervorgegangene Neue Deutsche Burschenschaft (NDB, 10 Burschenschaften) und die im September 2016 ebenfalls aus einer Abspaltung aus der DB gegründete Allgemeine Deutsche Burschenschaft (ADB, aktuell 26 Burschenschaften). Während der NDB und der ADB nur Burschenschaften aus Deutschland angehören, sind in der DB auch 21 Burschenschaften aus Österreich organisiert. Die Dachverbände unterscheiden sich vor allem durch den Radikalisierungsgrad der von ihnen vertretenen völkischen Ideologie.
Sowohl die DB als auch die NDB und die ADB treffen sich einmal jährlich zum Burschentag. Er gilt als Parlament des jeweiligen Verbandes und wählt für ein Jahr eine Vorsitzende Burschenschaft, die die Verbandsgeschäfte leitet, sowie verschiedene Ausschüsse (z.B. Ausschuss für burschenschaftliche Arbeit, Hochschulpoliticher Ausschuss). Außerdem fällt der Burschentag regelmäßig politische Beschlüsse, die die offizielle Position des Verbandes wiedergeben.
Burschenschaften und Studentenverbindungen
Burschenschaften arbeiten in aller Regel mit anderen Studentenverbindungen an ihrem Hochschulort zusammen. So werden z.B. die Mensuren verbindungstypübergreifend unter den schlagenden Verbindungen in sogenannten Waffenringen organisiert (z.B. der Marburger Waffenring). Eine Isolation extrem rechter Burschenschaften von anderen Studentenverbindungen ist – seltene Ausnahmen bestätigen die Regel – nicht erkennbar. Auch auf Verbandsebene sind Burschenschaften integriert. Sie gehören – neben Studentenverbindungen verschiedenster Art – dem Convent deutscher Akademiker / Convent deutscher Korporationsverbände (CDA/CDK) an, einem Zusammenschluss verschiedener Dachverbände von Studentenverbindungen.
Flügelkämpfe
Das völkische Prinzip lässt sich unterschiedlich auslegen: Gemäßigt, aber auch radikaler. Beispielhaft zeigen sich die Differenzen an den jeweiligen Europakonzeptionen. Gemäßigt-Völkische wollen Europa mittels eines »europäischen Volksgruppenrechtes« gliedern, das allen europäischen »Völkern« und »Volksgruppen« kollektive Sonderrechte brächte. Ein solches »europäisches Volksgruppenrecht« würde es den »deutschen Volksgruppen« ermöglichen, sich enger an Deutschland zu orientieren. Da im geeinten Europa die Grenzen an Bedeutung verlieren, werde es für alle »deutschen Volksgruppen« keine wirksame Trennung vom deutschen »Mutterland« mehr geben. Auf diese Weise, so meinen Gemäßigt-Völkische, könne es gelingen, eine sozusagen informelle Einigung aller deutschsprachigen Bevölkerungsteile Europas zu erreichen.
Radikal-Völkische hingegen plädieren eher dafür, die unterschiedlichen »deutschen Volksgruppen« in »Schlesien«, im »Sudetenland« etc. dem deutschen Staat direkt einzuverleiben. Eines der Konzepte, das in diesem Flügel immer wieder diskutiert wird, ist der militante »Volkstumskampf«. Historische Vorbilder hat er unter anderem in Norditalien (»Südtirol«). Dort waren Burschenschafter an terroristischen Aktionen beteiligt, um die Ablehnung des italienischen Staates durch die lokale deutschsprachige Bevölkerung zu radikalisieren und so eine gewaltsame Abspaltung der »Volksgruppe« zu erzwingen. Der »Südtirol«-Terrorismus forderte zahlreiche Todesopfer. Die österreichische Regierung sah sich 1961 gezwungen, die Burschenschaft Olympia Wien zu verbieten, weil sie als Schaltzentrale für terroristische Aktivitäten galt.
Bereits 1961 gründete sich innerhalb der DB ein Interessenverband der radikal-völkischen Verbindungen, die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG). 1971 drohte der Flügelstreit die DB zu spalten. Im sogenannten »Historischen Kompromiss« gelang es beiden Lagern durch Zugeständnisse, den Burgfrieden zu wahren.
Im Gegenzug wurde das pflichtschlagende Prinzip innerhalb des Dachverbandes abgeschafft, die einzelnen Mitgliedsbünde konnten nun selbst entscheiden, ob ihre Mitglieder verpflichtend Mensuren schlagen müssen.
Als zum Burschentag 2011 ein verbandsinternes Gutachten zu einem Antrag (bekannt geworden als »Ariernachweis«) veröffentlicht wurde, zeigten sich die Gräben zwischen den Lagern. Der gemäßigt-völkische Flügel organisierte sich im März 2012 in der Initiative Burschenschaftliche Zukunft (IBZ), um einer Rufschädigung des Gesamtverbandes durch den offen zur Schau gestellten Rassismus und den immer wieder thematisierten personellen Verflechtungen mit der extremen Rechten etwas entgegenzusetzen. Doch um einen Rechtsruck des Dachverbandes zu verhindern, war es zu spät. Beim Burschentag 2012 sollte der ehemalige Kader der neonazistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und amtierende Pressesprecher der DB, Norbert Weidner (Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn), abgewählt werden. Weidner hatte zuvor die Hinrichtung des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer als »Vaterlandsverräter« durch die Nazis als »rein juristisch gerechtfertigt« bezeichnet. Die Abwahl gelang nicht, was als Machtdemonstration des radikal-völkischen Flügels galt. Zwar wurde Weidner beim außerordentlichen Burschentag im Herbst 2012 abgewählt, die offen liegenden Konflikte veranlassten aber den Austritt von gut der Hälfte der Mitgliedsbünde über die Jahre 2012 bis 2014. Übrig blieb fast ausschließlich der radikal-völkische Flügel, der nun offen seine Politik vertreten konnte. So wurde zum Burschentag 2015 der neurechte Aktivist und Verleger Götz Kubitschek als Festredner eingeladen und Mitglieder der Deutschen Burschenschaft beteiligten sich an den PEGIDA-Demonstrationen in Dresden.
Gemeinsame politische Bühne AfD
Lange konnte der Neuen Deutschen Burschenschaft und den gemäßigt-völkischen Bünden der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft eine Nähe zur CDU attestiert werden, während die radikalvölkischen Bünde viele Überschneidungen zur extremen Rechten hatten. Parteipolitisch war das burschenschaftliche Lager lange zersplittert, eine Mitgliedschaft in der NPD wurde in Teilen kritisch gesehen. Mit dem Aufkommen der AfD ist mittlerweile eine gemeinsame politische Bühne entstanden. Parallelen zu den Flügelkämpfen in der DB lassen sich auch in den parteiinternen Richtungsstreits der AfD ziehen. Neben den weiterhin bestehenden Verbindungen von Burschenschaften zur NPD und anderen neonazistischen Organisationen finden sich Vertreter des radikal-völkischen burschenschaftlichen Lagers sowohl im völkischen Flügel der AfD als auch im neurechten Spektrum. Während formale Unvereinbarkeitsbeschlüsse die offizielle Zusammenarbeit z.B. von AfD und Identitärer Bewegung behindern, ist durch den gemeinsamen Lebens- und Erfahrungsraum Burschenschaft eine informelle Zusammenarbeit möglich. Es existieren diverse personelle Überschneidungen zwischen Identitärer Bewegung, der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und radikal-völkischen Burschenschaften. Darüber hinaus stützt die Deutsche Burschenschaft die Neue Rechte infrastrukturell, z.B. mit Veranstaltungsräumen. Auch zwischen dem liberaleren Flügel der AfD und den gemäßigt-völkischen Bünden bestehen Überschneidungen. So finden sich Texte von AfD-Politikern sowohl in den Burschenschaftlichen Blättern der DB, als auch im neuen ADB-Verbandsorgan Der Burschenschafter.
Aus der völkischen Ideologie, die den Kern burschenschaftlichen Denkens bildet, ergeben sich Konsequenzen für die Vorstellung davon, was das »deutsche Volk« sei. Für Völkische ist nicht unbedingt deutsch, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sondern alle, die deutsche Vorfahren haben. Daraus ergibt sich die Ansicht, es gäbe in zahlreichen europäischen Staaten »Deutsche« bzw. »deutsche Volksgruppen«, etwa in Polen (»Schlesien«), Tschechien (»Sudetenland«), Italien (»Südtirol«) oder Frankreich (»Elsass-Lothringen«).