Autoritäre Formierung

geschrieben von Christian Meyer

25. April 2018

Von Einschnitten in Grundrechte sind alle betroffen

Der staatliche, zunächst polizeiliche und dann juristische, Umgang mit den Protesten gegen den G20-Gipfel im Sommer 2017 hat viele empört. Was wir gerade erleben, ist eine qualitative Veränderung im Bereich innerer Sicherheit, die nicht mit Hamburg begann und auch noch lange nicht abgeschlossen ist. Wer das Thema politisch bearbeiten will, darf nicht bei der Empörung über Gummige-schosse, Demo- und Campverbote und lange Haftstrafen stehen bleiben oder gar an der Entsolidarisierung von G20-GegnerInnen partizipieren, sondern muss staatliche Repression als Teil einer umfassenden autoritären Formierung der Gesellschaft in den Fokus der Auseinandersetzung rücken.

Rechtsruck, Technologie und Neoliberalismus

Repression läuft nicht zufällig parallel zum stattfindenden Rechtsruck, sondern ist selbst Ausdruck einer Faschisierung der Gesellschaft. Daher ist es kein Zufall, dass sich die Positionen von AfD, Polizeigewerkschaften und auch des Innenministeriums gleichen. Der künftig neue Ressortzuschnitt mit dem Zusatz »Heimat« verdeutlicht diese Tendenz. Dass reaktionäre Kräfte eine starke Polizei und strenge Gesetze wollen ist nicht neu, mit der AfD aber verschiebt sich auch der Diskurs der inneren Sicherheit weiter nach rechts.

Ein weiteres Fundament auf dem die Sicherheitsoffensive steht, ist die aktuelle Popularität kybernetischer Konzepte im Zuge umfassender Digitalisierung in allen Bereichen des Sozialen: Arbeit, Bildung, Öffentlichkeit – und Sicherheit. Immer öfter sollen soziale Probleme technokratisch oder am besten gleich technologisch bearbeitet werden. Data Mining, »intelligente« Kameras, predictive policing, kurz der Einsatz großer Datenmassen und avancierter Software, soll Verwaltung und Kontrolle optimieren. Dass die technologischen Potentiale repressiv und nicht im Sinne der Emanzipation genutzt werden, ist auch ein Ergebnis gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, da das Übel keineswegs notwendigerweise in der Technologie selbst stecken muss.

Im Neoliberalismus spielt Sicherheit eine zentrale Rolle. Der Fokus staatlicher Sicherheitspolitik verlagert sich dabei von sozialer auf innere Sicherheit. Was bleibt ist ein starker Staat, der nicht in ökonomische, sondern primär in politische Freiheiten eingreift. So werden nicht nur die sozialen Folgen gekürzter Sozialausgaben polizeilich bearbeitet, sondern die Legitimation des Staates selbst wird mehr mittels Anti-Terror-Paketen als mit sozialem Wohnungsbau hergestellt. Einem immer enger vernetztem Sicherheitsapparat steht eine immer größer werdende Zahl allenfalls über social media vernetzter, jedoch überwiegend unorganisierter Betroffener gegenüber. Denn frühere politische Sammelbecken wie Gewerkschaften oder auch Parteien haben ihre gesellschaftliche Bedeutung weitgehend verloren.

Die geliehenen Grundrechte

Auch auf juristischer Ebene erleben wir eine Reihe von Verschärfungen, die wohl im Zuge einer weiteren großen Koalition fortgeschrieben werden: Umkehrung der Unschuldsvermutung, Ausweitung der Kommunikationsüberwachung, Stärkung des Bundeskriminalamts oder die Verschärfung des Strafrechts, beispielsweise hinsichtlich der Behinderung von Polizeibeamten, sind Mittel eines proaktiven Sicherheitsstaats. Manche dieser Werkzeuge der inneren Sicherheit haben klare Gegner-Innen, andere werden gegen marginalisierte Gruppen ohne Lobby, wie Flüchtlinge, ins Feld geführt, betreffen aber, sofern sie sich bewähren, früher oder später immer viel mehr Personen.

Bei der Berichterstattung über soziale Proteste, wie die in Hamburg, und den staatlichen Umgang damit kommt in den Leitmedien zudem eine Doppelmoral zum Vorschein, die nur schwer zu ertragen ist. Die Angriffe gegen Protestierende und Razzien gegen Hausprojekte, die SEK-Einsätze bei Demonstrationen, das Verbot der linken Nachrichtenplattform linksunten.indymedia, die Gefahrengebiete in Hamburg und Berlin und viele andere Beispiele zeigen, dass der rechtsstaatliche Rahmen bei Bedarf auch übertreten werden kann. Die Sicherheit steht mitunter über den Gesetzen, das wusste schon Michel Foucault. Der nachträgliche Weg über die Gerichte (nach dem G20-Gipfel in Hamburg haben sich gerade mal vier Klagen vor den Verwaltungsgrichten ergeben) ist ein schwacher Trost für die massiven Einschränkungen vor Ort. Es hat sich herumgesprochen: Die bürgerlichen Freiheiten, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Privatheit, Datenschutz usw., sind als nur geliehene zu verstehen und können jeder Zeit wieder zurückgenommen werden. Historisch wurden Grundrechte und bürgerliche Freiheiten erkämpft und nicht erbettelt und müssen offenbar permanent verteidigt werden. Letzteres ist genau jetzt angebracht. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass von Einschnitten in Grundrechte ausnahmslos alle betroffen sind.

 

Zum Nachlesen: Demonstrationsbeob-achtung des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Hamburg zum G20.

Download: www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/G20_Protest.pdf