Freibrief für Diffamierung

geschrieben von Peter C. Walther

28. April 2018

Regierungsamtliches zum Thema »Verfassungsschutz«

Als das hessische Innenministerium unlängst von einem FDP-Abgeordneten mittels einer »Kleinen Anfrage« aufgefordert wurde, mitzuteilen »wie viele (Gegen-)Demonstrationen und Kundgebungen unter Beteiligung von Vereinen, Gruppierungen oder Parteien aus dem linksextremen Spektrum« es in den Jahren 2014 bis Juni 2017 in Hessen gegeben habe, ließ Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) aufwendig eine 18 Seiten lange Liste erstellen, auf der 197 (!) Veranstaltungen und Aktivitäten aufgeführt werden, »die nachweislich unter Beteiligung von Vereinen, Gruppierungen oder Parteien stattfanden, die das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen als linksextremistisch bewertet« habe.

Dabei wird mehrmals die VVN-BdA als ein solcher Veranstalter oder Beteiligter »aus dem linksextremen Spektrum« genannt. Viel gravierender jedoch: Es handelt sich dabei ausschließlich um antifaschistische Gedenkveranstaltungen, wie die zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz (27.Januar), zur Befreiung von Faschismus und Krieg (8.Mai), zu den Bücherverbrennungen (10.Mai), zum 20.Juli mit den anschließenden Hinrichtungen, und zum Gedenken an die jüdischen Opfer der Pogromnacht am 9.November 1938. (Nachzulesen in der Drucksache 19/5132 des Hessischen Landtages vom 25.01.2018).

Alle diese Gedenkveranstaltungen, an denen in der Mehrzahl auch Gewerkschaften und andere demokratische Organisationen, Institutionen und Initiativen (wie z.B. die Jüdische Gemeinde) beteiligt waren, wurden ebenso wie in anderen Fällen Proteste gegen Neonazi-Aufmärsche, gegen rassistische Hetze, wie auch Ostermarsch-, Frauentags-, 1.Mai- und Antikriegstags-Veranstaltungen vom »Verfassungsschutz« beobachtet und mit dem Etikett »linksextremistischer Beteiligung« versehen.

In großem Ausmaß wird hier antifaschistisches Handeln und Gedenken kriminalisiert.

Anstatt so etwas zu unterbinden, wie es ihre Verpflichtung wäre, stellte die Bundesregierung jedoch im Dezember 2017 dem Geheimdienst »Verfassungsschutz« geradezu einen Freibrief für willkürliche Diffamierung und die damit verbundene Behinderung demokratischer und antifaschistischer Arbeit aus.

Die Linksfraktion des Bundestages hatte mittels einer Kleinen Anfrage wissen wollen, mit welcher Begründung und Berechtigung Antifaschismus und Antikapitalismus vom Verfassungsschutz als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet behandelt würden.

In dem dazu eingereichten umfangreichen Fragenkatalog wurde auch gefragt, »inwieweit und aus welchem Grund« die VVN-BdA »Objekt der Beobachtung« durch den Verfassungsschutz sei.

Die Antwort der Bundesregierung lautet: »Durch eine Stellungnahme zum Beobachtungsstatuts einer Organisation… könnten Rückschlüsse auf den Aufklärungsbedarf, den Erkenntnisstand sowie die generelle Arbeitsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz gezogen werden, was die Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden bei der Bekämpfung des Extremismus nachhaltig beeinträchtigen würde.« Eine Beantwortung der Frage könne deshalb »nicht erfolgen«. »Aufgrund der oben dargelegten Ausforschungsgefahr überwiegt das öffentliche Geheimhaltungsinteresse.« (Bundestags-Drucksache 19/351 vom 29.12.2017).

Immerhin erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort zwar, es sei »nicht zutreffend«, dass antifaschistische und antikapitalistische Aktivitäten grundsätzlich mit extremistischen Aktivitäten gleichgesetzt würden. »Denn sowohl die Ablehnung oder Bekämpfung des Nationalsozialismus, Faschismus oder Rechtsextremismus als auch die Kritik an der bestehenden Wirtschaftsordnung sind grundsätzlich und per se nicht extremistisch.«

Allerdings wird in der regierungsamtlichen Antwort sofort eingeschränkt: Es gebe »für die erwähnten Begriffe auch eine extremistische Auslegung«. »Antifaschismus und Antikapitalismus« seien »linksextremistische Aktionsfelder und feststehende Szenebegriffe«, »In diesem Zusammenhang beabsichtigen Linksextremisten eine Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Systems hin zu einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatsordnung«.

Damit ist die Feststellung, dass Antifaschismus (und Antikapitalismus) »nicht grundsätzlich und per se extremistisch« seien, weitgehend relativiert. Entscheidend ist nach regierungsamtlicher Feststellung vielmehr, ob der oder die Betreffenden »extremistisch« sind.

Das wiederum entscheidet der Geheimdienst »Verfassungsschutz«. Er muss nichts nachweisen und nichts belegen. Er kann frei weg behaupten, dieser und jener, dies und das sei »linksextremistisch« und damit verfassungsfeindlich. Fragen nach Beweisen und Belegen werden unter Hinweis auf die notwendige Geheimhaltung nicht beantwortet. Somit kann der Verfassungsschutz tun und lassen, was er will.

Das ist in höchstem Maße undemokratisch. Es verletzt massiv die Grundrechte der betroffenen Menschen und Organisationen. Es behindert demokratisches und zivilgesellschaftliches Handeln. Das ist nicht zu akzeptieren.