Das Beispiel Cottbus
4. Mai 2018
Wie eine breite rassistische Bewegung entsteht
Die Lausitzmetropole Cottbus hält den Rekord, die Kommune in Brandenburg mit den meisten rechten Gewalttaten und Heimat der militantesten Neonaziszene des Landes zu sein. In weiten Teilen Brandenburgs gelang es ca. ab dem Jahr 2000, durch Repression und zivilgesellschaftlichen Protest die rechte Szene zurückzudrängen. Nicht in Cottbus, wo Neonazis zur führenden Kraft in der Fanszene des Fußballvereins FC Energie Cottbus werden konnten. Im Milieu von Ultras und Hooligans bestand die Gelegenheit, neue Generationen gewaltgeneigter junger Männer zu rekrutieren. Es entstand eine Subkultur an der Schnittstelle von Fußball, Kampfsport und Neofaschismus. Eigene Firmen (Wachschutz, Modelabel etc.) stärken die ökonomische Basis dieser Szene und ihre Verankerung vor Ort.
Ab 2014 wurden auch vermehrt nach Cottbus Flüchtlinge zur Unterbringung zugewiesen. Neben diesen begannen ab 2015 auch anerkannte Asylbewerber oder subsidiär Schutzberechtigte, die ihren Wohnsitz frei wählen durften, aus den Dörfern und Kleinstädten, in denen sie ursprünglich untergebracht waren, nach Cottbus zu ziehen. Aus einfachen Gründen: Als Großstadt bietet Cottbus eine gewisse Infrastruktur, es gibt Bildungseinrichtungen, auch Arbeitsplätze. Vor allem gibt es, im Gegensatz zur Landeshauptstadt Potsdam, in der Wohnungsnot herrscht, aufgrund der jahrelangen Abwanderung aus der Stadt die Möglichkeit, Wohnraum zu finden. Die Stadtspitze war anfangs durchaus für den Zuzug, rettete dieser doch der Stadt den an die Zahl von 100.000 Einwohnern gebundenen Status als Großstadt.
Von Seiten der Rechten wurde darauf von Anfang an mit Gewalt reagiert. Es waren nicht nur rassistische Gelegenheitsschläger die aktiv wurden, sondern auch Gruppen militanter Rechter, die Jagd auf Migrantinnen und Migranten machten. Doch nicht nur durch Gewalt fiel die Szene auf. Anfang 2017 gab es z.B. einen klandestin organisierten Aufmarsch, bei dem hundert Nazis vermummt und ungehindert von der Polizei durch die Stadt zogen. Diesen Machtdemonstrationen wurde staatlicherseits nichts effektiv entgegengesetzt und das Selbstbewusstsein der Szene wuchs. Dazu kam die zunehmende Artikulation rassistischer Stimmungen in der Bevölkerung und das Entstehen neuer rassistischer Bewegungen wie Pegida. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde in der Region um Cottbus die AfD zur stärksten Kraft. Die militanten Rechten können sich in Cottbus mittlerweile mit gutem Grund als Vollstrecker des Mehrheitswillens fühlen.
Längst hatte das Problem ein Ausmaß erreicht, das auf kommunaler Ebene nicht mehr zu lösen ist.
Doch ignorierte die rot-rote Landesregierung die Situation in Cottbus lange. Das änderte sich erst, als es Anfang 2018 zu Auseinandersetzungen zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen kam, bei denen u.a. ein deutscher Jugendlicher mit einem Messer verletzt wurde. Aus diesem Anlass organisierte der rechte Verein »Zukunft Heimat« eine Demonstration, zu der 2.000 Menschen kamen. Nun begann die »große Politik« zu reagieren. Brandenburgs Innenminister Schröter (SPD), Vertreter einer restriktiven Flüchtlingspolitik, bestimmte, keine Flüchtlinge mehr nach Cottbus zuzuweisen. Von allen Seiten wurde betont, dass sich die Flüchtlinge, deren Leiden unter rassistischer Gewalt in Cottbus bis dato nicht interessiert hatte, »an die in Deutschland geltenden Regeln« zu halten hätten. Betont wurde, wie sehr der mittlerweile erreichte Ausländeranteil von acht Prozent an der Gesamtbevölkerung die Stadt, in der Kindergartenplätze knapp würden, überfordern würde.
Die radikale Rechte hat in Cottbus zwei große Erfolge erzielt. Mit dem von Schröter verhängten »Zuzugsstopp« erzielte sie eine zumindest teilweise Erfüllung ihrer Forderungen. Dass die sozialen Probleme in der Stadt öffentlich nun einzig und allein als Resultat des Zuzugs Fremder verhandelt werden, bestätigt das von den Rechten an die Wand geworfene Bild der »Überfremdung« und dürfte langfristige Auswirkungen haben. Die Parteien der Landesregierung, die nicht wissen, wie sie mit dem Fakt umgehen sollen, dass man es längst nicht mehr ein paar Extremisten mit Glatze und Bomberjacke zu tun hat, sondern mit einer breiten rassistischen Bewegung, in der sich die militanten Rechten wie Fische im Wasser bewegen, schauen hilflos auf die Stadt und versuchen, die Lage durch partielles Eingehen auf die Wünsche der Rassisten zu befrieden. Diese haben mittlerweile das Ziel ausgegeben, von Cottbus ausgehend, auch in Brandenburg sächsische Verhältnisse zu schaffen.
Der Autor ist seit 20 Jahren als Antifaschist im Land Brandenburg aktiv