Die »Pflicht zum Widerstand«
27. Juni 2018
Abschied vom couragierten Antifaschisten Martin Löwenberg
Am 2. April 2018 ist Martin Löwenberg in München verstorben. Mit ihm verliert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen einen weit über München und Bayern hinaus bekannten Antifaschisten und Friedensaktivisten, der auch viele Jahre im Münchner Kreis- und im bayerischen Landesvorstand der VVN-BdA wirkte.
Martin, am 12. Mai 1925 in einer sozialdemokratischen Familie in Breslau geboren, bekam bereits als Jugendlicher die rassistische Ausgrenzung durch die Nazis zu spüren – sein Vater war Jude. Da sich dieser noch vor Martins Geburt das Leben genommen hatte, lag es allein an der auch politisch tatkräftigen Mutter, die Familie durchzubringen. Weil die angestrebte landwirtschaftliche Ausbildung für Juden untersagt war, lernte Martin das Sattlerhandwerk. Angespornt durch seinen älteren Bruder Fred organisierte auch er heimlich Brotmarken und Zigaretten und unterstütze damit Zwangsarbeiter in Breslau. Beide wurden festgenommen, Fred ins KZ Buchenwald, Martin in die Konzentrationslager Flossenbürg, Longwy und Leitmeritz zur Zwangsarbeit verschleppt.
Nach der Befreiung durch die Rote Armee war für Martin klar, dass er mithelfen würde bei der Errichtung eines neuen, friedlichen und demokratischen Deutschlands. Zunächst in Weißenfels an der Saale, dann im oberbayerischen Habach, ab 1948 schließlich in München war er am Aufbau der VVN und der Gewerkschaften beteiligt und schloss sich der SPD an. Ganz im Sinne des Prager Manifests der SPD von 1934, das seine Mutter damals illegal in Breslau weiter verbreitet hatte, setzte er sich nun unermüdlich für die Einheit der beiden Arbeiterparteien ein, um gemeinsam gegen die Spaltung Deutschlands und gegen eine Remilitarisierung zu wirken.
Diese Arbeit und seine Kontakte zu den Kommunisten blieben in Zeiten des Kalten Krieges nicht ohne Folgen: Ausschluss aus der SPD, 1958 Gefängnisstrafe wegen seiner Tätigkeit für die als kommunistische Tarnorganisation bezeichnete »Sozialdemokratische Aktion«, vier Jahre später erneute Haft wegen Mitarbeit in der illegalen KPD. Seine politischen Überzeugungen lebte Martin weiterhin, auch als Betriebsratsvorsitzender – er arbeitete als Vertreter einer großen Nähmaschinenfabrik. All das wäre ohne die Unterstützung und den Rückhalt seiner ebenfalls politisch aktiven Frau Josefine nicht möglich gewesen. 1956 wurde die Tochter Jutta geboren.
Martin blieb eine prägende Persönlichkeit demokratischer Bewegungen in München: Als Gewerkschafter und Friedensaktivist gegen atomare Bewaffnung und Notstandsgesetze, als Mitorganisator der Ostermärsche. Einige Zeit engagierte er sich bei der Partei Die Grünen, seit Mitte der 80er-Jahre auch wieder verstärkt bei der VVN-BdA. Denn die zunehmende nazistische und rassistische Propaganda forderten ihn – den KZ-Überlebenden – in besonderem Maße. Er sah sich als Vermittler zwischen Alt und Jung und den verschiedensten Kräften von der Antifa bis zu den »Bürgerlichen«. Denn Antifaschismus war für ihn nicht rot oder schwarz, sondern »bunt wie die Farben des Regenbogens«.
So ermunterte er alle gleichermaßen, möglichst gemeinsam gegen die Nazis auf die Straße zu gehen und sich ihnen in den Weg zu stellen. Wegen eines solchen Aufrufs wurde er 2002 zu einer Geldstrafe verurteilt. Noch im Gericht erklärte er: »Das Recht zum Widerstand gegen die Feinde der Demokratie schließt für mich die Pflicht zum Widerstand ein. Egal, was Sie beschließen: Mein Verhalten wird sich nicht ändern.« Nein, Martin wurde nicht müde, aus seiner Erfahrung als Naziverfolgter heraus zum Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus und immer wieder zur Solidarität mit allen Schwächeren der Gesellschaft aufzurufen. Selbst im Seniorenheim, in dem er mit Josefine und schließlich nach deren Tod 2011 allein lebte, gab er keine »Ruhe«, sondern engagierte sich für bessere Pflegebedingungen in den Heimen.
Ehrungen blieben nicht aus: Der DGB zeichnete ihn mit der »Hans-Böckler-Medaille« aus, die Stadt München mit der Medaille »München leuchtet«, von der Internationalen Liga für Menschenrechte erhielt er die »Carl-von Ossietzky-Medaille«, das Münchner Schülerbüro ehrte ihn für den großen Einsatz für Münchens Schülerinnen und Schüler. »Es kann legitim sein, was nicht legal ist. Martin Löwenberg – ein Leben gegen Faschismus, Unterdrückung und Krieg« heißt ein 2011 entstandener Film über das jahrzehntelange Engagement des couragierten Antifaschisten.