Befremdliche Manifeste

geschrieben von Ernst Antoni

17. Juli 2018

Rechtswende-Versuche in vielen gesellschaftlichen Bereichen

»Mit wachsendem Befremden«, hatten sie im ersten Satz ihrer »Gemeinsamen Erklärung« festgehalten, müssten sie beobachten, »wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt« werde. Das Wort »Befremden« steht da ein bisschen unfreiwillig (oder vielleicht doch gewollt?) komisch im Raum. Die Quintessenz jedenfalls ist deutlich: Deutschland wird beschädigt.

Was also tun? Im zweiten Satz – mehr Text gab es in der ursprünglichen »Erklärung« nicht – hieß es: »Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.« Irgendwie ein wenig vage, beinahe befremdlich so eine Solidaritätserklärung. Wo eigentlich ist »die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes« denn kaputtgemacht geworden, die nun »wiederhergestellt« werden soll?« Und wer sind »diejenigen«, diese »friedlich Demonstrierenden«, denen von den Initiatoren dieser Erklärung solidarisch auf die Schulter geklopft wird?

Wie auch immer: Der Appell, erstmals am 15. März im Internet veröffentlicht, verzeichnete Resonanz. Die über 30 namentlich unter der Erklärung stehenden Initiatorinnen und Initiatoren fanden es daher angebracht, anschließend deutlicher an die Öffentlichkeit zu gehen. Zumindest in der Anfangsphase war allerdings ein gewisses Ungleichgewicht im Aufrufer-Kreis nicht zu übersehen: Unter den in der Liste Aufgeführten fanden sich neben einer stattlichen Anzahl männlicher Befremdeter nur die Namen von fünf Frauen.

Eine davon, Vera Lengsfeldt, hat sich mit öffentlichen Beiträgen zu dieser Kampagne inzwischen deutlich in eine Spitzenposition gebracht, eine andere, Eva Herman, ist bekanntlich seit langem schon auf solchen Feldern unterwegs. Nicht wenige der von Anfang an beteiligten Herren aus unterschiedlichen Schwerpunktgebieten erst recht: Thilo Sarrazin etwa, Matthias Matussek, auch Henryk M. Broder, neuerdings explizit Uwe Tellkamp, seit gefühlt ewig Karlheinz Weissmann und neben diesen noch manch anderer nicht ganz Unbekannter. Die wenigsten der initiatorisch Beteiligten springen einem allerdings AfDlich oder sonst irgendwie ultrarechts parteipolitisch ins Auge. Was dem seltsamen Aufruf sicherlich nicht zum Schaden gereicht hat.

Stolz konnten sie nämlich unlängst verkünden: »Bisher war diese Erklärung auf Autoren, Publizisten, Künstler, Wissenschaftler und andere Akademiker begrenzt. Mit dem 2018. Unterzeichner schließen wir die Liste – und öffnen sie auf vielfachen Wunsch für alle. Wir haben vor, die Erklärung in eine Massenpetition an den deutschen Bundestag umzuwandeln.« Im Anschluss an die beiden ersten Sätze der Erklärung soll nun vom Bundestag gefordert werden, »dass die von Recht und Verfassung vorgesehene Kontrolle der Grenzen gegen das illegale Betreten des deutschen Staatsgebietes wiederhergestellt wird. Sodann verlangen wir die Einsetzung einer Kommission, die der Bundesregierung schnellstmöglich Vorschläge unterbreitet, wie: – der durch die schrankenlose Migration eingetretene Kontrollverlust im Inneren des Landes beendet werden kann (und): – wirksame Hilfe für die tatsächlich von politischer Verfolgung und Krieg Bedrohten organisiert werden kann und wo dies idealerweise geschehen sollte.«

Originell an der Erweiterungs-Begründung ist die nachträglich von ihnen selbst vorgenommene Akademisierung aller ErstunterzeichnerInnen, weniger originell sind die neuen Forderungen, die wiederum nichts mit der Faktenlage zu tun haben, sondern lediglich das alte »Ausländer raus!« etwas verschraubter formulieren.

Genau hier aber wird deutlich, dass keineswegs nur ganz rechtsaußen emsig daran gearbeitet wird, rechte und vor allem völkisch (und damit rassistisch) unterlegte Interpretationsmodelle in möglichst allen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zu verankern. Die »schrankenlose Migration« und der damit verbundene »Kontrollverlust« sind nur ein Vehikel, den Ruf nach einem »starken Staat« lauter werden zu lassen. Ein anderes ist – und zu so etwas ist sogar ein peinlicher Ex-Bundesverkehrsminister wie Alexander Dobrindt (CSU) zu gebrauchen – der Ruf nach einer »konservativen Revolution«. Oh ja: Die Vertreter dieses explizit so genannten Modells hatten zum Ende der Weimarer Republik mächtig mitgeholfen, die Nazis an die Macht zu schieben. Ein »konservatives Manifest« kursiert in den C-Parteien derzeit auch noch.

Immerhin: Revolution, Manifest…Irgendwer scheint da in rechten Ecken doch wieder einmal etwas für zeitgemäß angebracht zu halten, das doch alles schon mal so was von out gewesen war. Nichts mehr mit »Ende der Geschichte«. Sondern plötzlich ein Revival der sozialen Demagogie, verbunden mit Versuchen, ganz konkret Grundrechte und demokratische Errungenschaften abzubauen. Es wird auf die Dauer wohl nicht ausreichen, dagegen antwittern zu wollen.