Soldatentod und -elend

geschrieben von Ernst Antoni

18. Juli 2018

Retrospektive des Werks des Kunstmalers Josef Scharl (1896-1954)

Diese Retrospektive von Werken eines Künstlers, der 1918, nach dem Ende der Ersten Weltkriegs, mit dem Zeichnen und Malen anfing, passt nicht schlecht in gegenwärtige Verhältnisse. Sei es hier bei uns, sei es in den USA, die dem Maler und Grafiker von 1938 bis zu seinem Tod im Jahr 1954 Exilheimat geworden waren, oder anderswo.

Bei uns springen uns seit vielen Monaten wieder einmal große Werbeflächen ins Auge – gerne angemietet in U- und S-Bahnstationen oder in der Nähe von Schulen und sonstigen Ausbildungsstätten – auf denen vor olivgrünem Hintergrund der schöne Soldatenberuf mit lustigen Sprüchen angepriesen wird. Olivgrün ist eine Farbe, die auch in den Soldatenbildern des Künstlers, von denen in den Jahren zwischen 1918 und 1954 einige entstanden sind, öfter vorkommt. Allerdings steht dabei als Bildtitel meist »Gefallener Soldat« (1932) oder »Toter Soldat II« (1953).

Katalog-Titel zur Josef-Scharl-Ausstellung (Ausschnitt aus dem Gemälde „Pariser Straßenszene“, 1930). Wienand Verlag Köln, 120 S., 29,80 Euro

Katalog-Titel zur Josef-Scharl-Ausstellung (Ausschnitt aus dem Gemälde „Pariser Straßenszene“, 1930). Wienand Verlag Köln, 120 S., 29,80 Euro

Auch wenn er manchmal lebende Soldaten ins Bild gebracht hat, sehen die meist furchtbar elend aus. Vielleicht auch deshalb, weil der junge angehende Künstler aus dem Ersten Weltkrieg einen gelähmten Arm mitgebracht hatte, der ihn länger bei seinem Schaffen behinderte. »Gala-Uniform« etwa heißt ein Bild aus dem Jahr 1935, aus dem ein schmuck angezogener ordensbehängter Soldat den Bild-Betrachter eben nicht anblickt. Weil seine Augen nur noch zwei helle Löcher sind.

»Josef Scharl. Zwischen den Zeiten« ist die Kunstausstellung betitelt, die vom Februar bis Juni in Bremen in den Museen an der Böttcherstraße zu sehen war, derzeit noch im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg gezeigt wird und nächstes Jahr von Mai bis September ins Buchheim-Museum in Bernried am Starnberger See kommen soll. Womit das Werk von Josef Scharl seit langer Zeit wieder einmal auch in jener Region in größerem Umfang betrachtet werden kann, in der es – der Künstler kam im Jahr 1896 in München auf die Welt – zuerst in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden ist und in den Jahren vor 1933 auch Beachtung fand, die bald über Bayern hinausging.

Geschuldet war dies unter anderem einem längeren Aufenthalt in Berlin, bei dem Josef Scharl Alfred Einstein kennenlernt und ihn porträtiert hatte. Daraus entwickelt sich mit dem Physik-Nobelpreisträger und Friedenskämpfer eine Freundschaft, die über Jahrzehnte weiterbestehen wird. Daneben ergeben sich Galerie-Kontakte an verschiedenen Orten, ein Stipendium für mehrere Monate in Paris und diverse Kunstpreise folgen.

Und dann 1933: Berufsverbot, die Hereinnahme eines Scharl-Werks in die Nazi-Ausstellung »Entartete Kunst« und schließlich 1938 die Flucht ins Exil. Dort ist ihm nicht allein Albert Einstein, den er noch öfter porträtieren wird, Freund und Helfer. Der Künstler bleibt im Kontakt mit diversen emigrierten Kulturschaffenden aus seiner alten Heimat – und, obwohl nicht gerade verwöhnt von Ausstellungs-Erfolgen in den USA, auch in seinen Bild-Themen engagiert bis zuletzt. Der erwähnte »Tote Soldat« von 1953 hat, wie die Uniform erkennen lässt, einen Korea-Kriegs-Bezug.

Josef Scharl versteht es, sich in die Betrachtungs- und Gestaltungsweisen anderer Künstler seiner Zeit oder aus der jüngeren Vergangenheit hinein zu fühlen, Erkenntnisse daraus in sein Werk hineinzunehmen, ohne dadurch, weder in Themenwahl noch in künstlerischer Gestaltung, zum Kopisten oder Epigonen zu werden. Er nutzt vielmehr die Inspirationen – seien sie von van Gogh oder Liebermann, von James Ensor (beim Bild »Masken«, 1931, etwa), von Otto Dix, George Grosz und anderen – für sein ganz spezielles Herangehen an Motive, Kompositionen und Bildaussagen.

So wird sein Gemälde »The massacre of the innocents« von 1942 (über dem Bild eines gemordeten Kindes hat der Künstler diesen Titel hineingemalt, und darunter, beginnend mit Guernica, eine Reihe von Namen damals aktuell bekannter Nazi-Massaker-Orte aufgelistet) über die Darstellung hinaus, die gleichzeitig »modern« ist und alte christliche Bildmotive zitiert, eine ureigene Anklage. Wie schon Scharls »Pietà« (1933): das Gemälde eines nackten, geschundenen und ermordeten Häftlings.

Im Bild »Blinder Bettler im Café« (1927) hat Scharl sich selbst als Titelgebender porträtiert. Er ist der letzte in einer Reihe unterschiedlich »Behinderter«, die ein hitlerbärtiger Ober aus einem »Szenelokal« treibt. Als »Vertriebene« sind der Komiker Karl Valentin und die Maler Vincent van Gogh und Paul Gauguin zu erkennen. »Goldene Zwanziger?«. Josef Scharl, ein Künstler mit Weit- und Durchblick…

Ausstellungs-Termine:

Bis 14. Oktober 2018: Ernst Barlach Haus Hamburg, Baron-Voght-Str. 15 a

25. Mai – 15. September 2019: Buchheim-Museum Bernried, 8234 Bernried am Starnberger See