Zwischen den Fronten
21. Juli 2018
Das dramatische Leben des Marxisten Roman Rosdolsky
Roman Rosdolsky (1898 – 1967) ist heute eine außerhalb marxistischer Kreise weitgehend vergessene Figur und selbst in innermarxistischen Debatten ein eher vernachlässigter Name. Dabei gehörte Rosdolsky als Marx-Forscher und Historiker zweifellos zu den interessantesten, intellektuell fruchtbarsten marxistischen Autoren des 20. Jahrhunderts.
Seine Dissertation »Das Problem der geschichtslosen Völker bei Karl Marx und Friedrich Engels« wurde von Ernest Mandel als »erstes Beispiel einer gelungenen marxistischen Kritik an Marx selbst« gelobt. Und die posthum erschienene »Entstehungsgeschichte des Marxschen `Kapital` schließlich gibt bis heute vielfältige Impulse für ein tieferes Verständnis der Entwicklung von Marxens ökonomischer Lehre.
Doch Rosdolsky war nicht nur ein Theoretiker, der jenseits des Lärms politischer Auseinandersetzungen im akademischen Elfenbeinturm verharrte, sondern hatte eine bewegte, ja dramatische Lebensgeschichte.
Diese Geschichte und die seiner 2001 verstorbenen Frau Emmy in »Mit permanenten Grüßen. Leben und Werk von Emmy und Roman Rosdolsky« erstmals in Form einer umfassenden Biografie erzählt zu haben, ist das Verdienst des Wiener Rosdolsky-Kreises, dessen kollektiv verfasste Arbeit 2017 im Mandelbaum-Verlag erschienen ist.
Viel Raum wird dabei Rosdolkys Jugend im habsburgischen, dann polnischen Galizien gewidmet – mit Recht, denn die damals gemachten prägenden Erfahrungen waren es, die seine starke Konzentration auf das Problem der Nationalitätenfrage und ihre marxistische Behandlung begründeten.
Erst im frühen 20. Jahrhundert wird der ukrainische Nationalismus zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor. Während die meisten Mitglieder der »Drahomanow-Zirkel« die die Losung eines souveränen ukrainischen Nationalstaates mit einem den Narodniki ähnlichen bäuerlichen sozialrevolutionären Programm verbinden, bei einem (klein-) bürgerlichen Nationalismus stehenbleiben und im ersten Weltkrieg entweder das russische Zarenreich oder die Habsburgermonarchie unterstützten, um als Belohnung die Unabhängigkeit zu gewinnen, entwickelt sich der dort politisierte Rosdolsky bald zum revolutionären Marxisten weiter, der sich auf die Seite der Bolschewiki stellt.
Die breit angelegte Darstellung von Rosdolskys Politisierung, seiner Entwicklung zum Kommunisten und seiner von diesen Erfahrungen inspirierten Studien zur Nationalitätenfrage sind der vielleicht interessanteste Teil des Buches, werfen sie doch Licht auf ein heute fast vergessenes historisches Kapitel und darauf, welche allgemeinen historisch-politischen Lehren ein reflektierter Marxist wie Roman Rosdolsky daraus ziehen konnte.
Aber auch die anderen Stationen von Rosdolskys bewegtem Leben kommen nicht zu kurz: Das Exil in Wien, wo er seine spätere Frau als junge engagierte Kommunistin kennenlernt. Seine Annäherung an die Positionen Trotzkis und der sowjetischen Linken Opposition, die zum endgültigen Bruch mit dem sich etablierenden Stalinismus und damit zur Ächtung Rosdolskys durch die Organisationen der Dritten Internationale führt. Die Flucht vor dem 1934 an die Macht gelangten Austrofaschismus zurück ins nun polnische Lemberg bis er – als oppositioneller marxistischer Intellektueller in Stalins Machtbereich in akuter Lebensgefahr – 1939 vor der einrückenden Roten Armee aus Lemberg fliehen muss und stattdessen unter die Herrschaft der Nazis gerät, die ihn 1942 nach Auschwitz deportieren. 1945 mit knapper Not aus den Händen der SS gerettet, sieht er sich schon 1947 wieder zur Flucht aus Österreich veranlasst, diese Mal vor der mutmaßlichen Gefahr einer Entführung durch den sowjetischen Geheimdienst.
Diese sorgfältig recherchierte Rosdolky-Biografie ist somit nicht nur Lebensbild eines marxistischen Theoretikers, sondern auch ein Stück dramatischer Geschichte des 20. Jahrhunderts von den habsburgischen Nationalitätenkonflikten über Austrofaschismus und Nationalsozialismus bis zum Kalten Krieg. Lesenswert nicht nur für Kennerinnen marxistischer Theoriegeschichte.
Wir danken der Alfred Klahr Gesellschaft Wien für die Genehmigung des Nachdrucks der Rezension, die in ihren Mitteilungen vom Juni 2018 erschienen ist.