Mit den Augen des Panzersoldaten
27. Juli 2018
Zum 75. Jahrestag der Schlacht am Kursker Bogen
Dieser Tage begehen wir den 75. Jahrestag der Schlacht vor Kursk. Die Schlacht dauerte vom 5. Juli bis 23. August 1943 und zeichnete sich durch einen außerordentlich intensiven und erbitterten Kampf aus.
Der Kampf um Kursk, die Panzerschlacht bei Prochorowka, zieht bis heute Forscher unterschiedlichster Richtungen in ihren Bann, Militärtheoretiker und Praktiker, Psychologen, Ideologen und viele andere. Die 75 Jahre seit der Schlacht sind m.E. eine ausreichende Zeit, um nochmals die Größe und Tragik der Heldentat der Rotarmisten zu durchdenken. Das Sieb der Geschichte belässt nur die großen, historisch bedeutsamen Ereignisse in der Erinnerung, alles andere verschwindet in den Tiefen der Geschichte.
Am »Kursker Bogen« standen uns Elitegruppierungen der Wehrmacht unter Führung der erfahrenen Kommandeure Mannstein und Kluge gegenüber.
Auf beiden Seiten nahmen an dem Kampf mehr als 13.000 Panzer und Selbstfahrlafetten, bis zu 70.000 Artilleriegeschütze und Granatwerfer, circa 12.000 Flugzeuge und mehr als vier Millionen Soldaten teil. Deutschland konzentrierte hier 43% der an der Ostfront befindlichen Divisionen und 80% der gesamten dort eingesetzten Luftwaffe.
Auf unserer Seite standen: 22 Heeresarmeen, alle fünf Panzerarmeen, 23 Panzerkorps, 6 mechanisierte Korps, bis zu 20 gesonderte Panzerbrigaden, mehr als 60 eigenständige Panzer- und circa 30 mobile Artillerieregimenter, die 6. Luftarmee und die Langstreckenluftstreitkräfte.
Die Zentrale und die Woroneschsker Fronten wurden durch K. K. Rokossowski und N. F. Watutin kommandiert, die Steppenfront – von I. S. Konjew. Die Koordinierung der Fronten verantworteten die Marschälle G. K. Shukow und A. M. Wassiljewski.
Auf beiden Seiten dieser strategischen Operation kam den Panzertruppen eine entscheidende Bedeutung zu. Das deutsche Oberkommando und Adolf Hitler persönlich waren hier darauf aus, die Gruppierung der sowjetischen Streitkräfte einzukreisen und auf diese Weise die in den Kämpfen vor Moskau und Stalingrad verlorene strategische Initiative zurückzuerobern, die Siegesmoral der Armeen der Wehrmacht wiederherzustellen und die in den Augen der Verbündeten erschütterte Autorität Deutschlands zu erhöhen.
Die militär-politischen und strategischen Ziele der UdSSR waren entgegengesetzt: sie bestanden darin, die größte Militärgruppierung in der Kriegsgeschichte zu zerschlagen und ausbluten zu lassen, den Versuch der Revanche der deutschen Truppen (nach der Niederlage bei Moskau und in der Schlacht von Stalingrad) zu vereiteln, den strategischen Erfolg voranzutreiben und somit die grundsätzliche Wende im Kriegsverlauf zu festigen.
In der Geschichtsschreibung zur Schlacht am Kursker Bogen finden sich nicht wenige Untersuchungen, die den unterschiedlichsten Aspekten dieses Kampfes gewidmet sind. Ich möchte auf sie mit den Augen eines Panzersoldaten blicken.
Eine der umstrittensten Episoden des Kursker Kampfes betrifft die Panzerschlacht auf dem Prochorowsker »Panzer-Feld«.
Bei Prochorowka standen sich die großen Panzergruppierungen der Wehrmacht und der Roten Armee unmittelbar gegenüber. Am entscheidenden Kampf, in der Operation »Zitadelle« am 12. Juli 1943, nahmen circa 500 sowjetische Panzer und mehr als 150 Panzer und Sturmgeschütze des Gegners teil. Unabhängig von der wesentlichen Überlegenheit der Panzertechnik wurde der Sieg für uns sehr teuer. Der Angriffsplan der deutschen Truppen an diesem Abschnitt wurde jedoch durchkreuzt.
Was war bei Prochorowka geschehen, welche Schlussfolgerungen kann man heute, siebeneinhalb Jahrzehnte später, daraus ziehen?
Zuallererst gilt die Aufmerksamkeit dem militär-technischen Faktor. Im Kampf wurde Panzertechnik unterschiedlicher Typen eingesetzt, von veralteten Mustern bis zu modernen Panzern und mobilen Artilleriegeschützen. Am widerstandsfähigsten im direkten Kampf waren die modernen Panzer KW-1, T-34-76, auf unserer Seite, sowie der schwere Panzer T-VI »Tiger« und der mittlere Panzer T-IV »Panther«, auf deutscher Seite. Diese Panzertypen verfügten über eine verstärkte Panzerung und eine stärkere Kanone. Die Verluste der Seiten im Kampf: die Wehrmacht verlor in diesem Kampf zwei von sieben Panzern, die Rote Armee büßte keinen der Panzer KW-1 ein.
Große Verluste erlitten die Panzer MK IV »Churchill« (die wir auf Lend-Lease-Basis hatten). Von 19 am Kampf teilnehmenden Panzern wurden 17 verbrannt und außer Gefecht gesetzt. Von den 139 leichten Panzern T-70 fielen nur 71 aus. An einem einzigen Tag verloren wir 70% der Panzer und mobilen Artilleriegeschütze, der Gegner 47% seiner Panzertechnik.
Ohne ins Detail zu gehen, kann man sagen, dass die Ausrüstung der Truppen mit moderner Kampftechnik die Verluste minimiert und eine der Bedingungen für den Sieg darstellt. Diese Anforderung entspricht dem Gesetz der Kriegsführung auch unter den heutigen Bedingungen. Die Angriffs- und Verteidigungsmittel müssen ständig vervollkommnet werden und eine dialektische Einheit bilden. Die Seite, die diesen Widerspruch löst, verfügt als erste über einen Vorteil, der den Ausgang des Kampfes vorherbestimmen kann.
Bekanntlich wird die Kampftechnik aber nur dann zu einer effektiven Waffe, wenn sie qualifiziert gehandhabt wird. Das Wissen über die Möglichkeiten einer Kampfmaschine ermöglicht es der Besatzung, Mut und Initiative zu entwickeln, kreativ an den Einsatz im Kampf, an die Kampftaktik heranzugehen.
Eine der Ursachen unserer großen Verluste auf dem »Panzerfeld« bestand in der Unerfahrenheit und mangelnden Ausbildung vieler Mannschaften, die praktisch zum ersten Mal im Kampf eingesetzt wurden. Nicht zu übersehen ist auch die nicht bis zu Ende gedachte Entscheidung des Oberkommandos der Woroneschsker Front, den Angriff um eineinhalb Stunden vorzuziehen. Am Morgen des 12. Juli standen die deutschen Panzer auf ihren Ausgangspositionen und erwarteten den Angriffsbefehl. Der Angriff war auf 9:00 Uhr festgesetzt. Unsere Truppen begannen den Angriff eineinhalb Stunden vorher.
Als die Panzer der 5. Armee die Schlacht eröffneten, fanden sie sich unter dem messerscharfen Artillerie- und Panzerfeuer der SS-Panzerdivision »Adolf Hitler« wieder, die sich auf den Kampf vorbereitet hatte.
Vergegenwärtigen wir uns die Atmosphäre des Kampfes: Juli-Hitze, glühende, durch Pulverdampf geschwängerte Luft, eingeschränktes Sichtfeld, in dem die Panzersoldaten kämpfen mussten. Die Deutschen befanden sich natürlich unter gleichen Bedingungen, doch starben sie, mit Verlaub, für die wahnwitzigen Ideen Hitlers. Hinter unseren Panzersoldaten befanden sich die Heimaterde, die Frauen, die Kinder, das Vaterland, der Ruf der Ahnen, was ihnen ermöglichte, diese Hölle durchzustehen, in der sogar der Panzerstahl schmolz.
Dank der Tapferkeit der Panzersoldaten, ihrer Hingabe zur Heimat, ihrem Patriotismus, stürzten sich viele Panzerbesatzungen nach dem Ausgang der Munition mit ihren Fahrzeugen auf den Gegner und entschieden zum Preis der Selbstaufopferung den Kampf zu unseren Gunsten.
Nicht nur hohe Professionalität kennzeichnet den russischen Soldaten und Kämpfer, sondern ebenso jene geistigen, moralischen Eigenschaften, die wir als Patriotismus bezeichnen. Auf dem Prochorowsker Feld zeigten unsere Soldaten und Kommandeure nicht nur der Wehrmacht, sondern der ganzen Welt, wie man seine Heimat lieben und den Feind hassen muss.
Wie es der bekannte Panzersoldat, der zweifache Held der Sowjetunion, Generaloberst D. A. Dragunski, eindrucksvoll beschrieb: die Panzerbesatzungen wählten wir nicht nach der Körpergröße aus, sondern nach der Festigkeit des Charakters, der Reife der Seele. Die Charakterfestigkeit der Panzersoldaten der Roten Armee erfuhren die Faschisten an eigener Haut, nicht nur in der Schlacht von Kursk, sondern im gesamten Krieg. Jeder achte Rotarmist, der in den Jahren des Krieges fiel, war ein Panzersoldat. Allein die Uljanowsker Panzerschule entsandte während der Jahre des Großen Vaterländischen Krieges Abgänger von 45 Panzerlehrgängen in die aktive Armee Sie schrieben nicht wenige heroische Seiten in unsere Kriegsgeschichte.
Der Große Vaterländische Krieg, die darauf folgenden Ereignisse, regionale, lokale Kriege und kriegerische Konflikte, sie alle bestätigten die hohe Bedeutung des menschlichen Faktors in einem modernen Krieg.
Der Oberkommandierende, Präsident W. W. Putin, zollt heute den Fragen der Ausrüstung der bewaffneten Kräfte mit modernen Waffen und Kampftechnik und der patriotischen Erziehung der Bürger des Landes vorrangige Aufmerksamkeit. Unter den Bedingungen der russophoben Hysterie, der Drohungen und Herausforderungen seitens der USA, Großbritanniens, der NATO, der Staaten im Baltikum, Polens, der Ukraine und einer Reihe weiterer Länder, verfolgt der Russische Verband der Veteranen zielstrebig das Ziel der Konsolidierung der Veteranenorganisationen, der Erziehung der Bürger der Russischen Föderation im Geiste der Frontsoldaten, der Herausbildung eines stabilen patriotischen Bewusstseins der Jugend. Dieser Kurs wurde auf Wahlberichtsversammlung des Russischen Verbandes der Veteranen (RVV) am 11. April 2018 bestätigt.
Der Russische Verband der Veteranen führt die Realisierung großer gesellschaftlich bedeutender Projekte weiter, solcher wie »Erziehen wir Patrioten Russlands. Leben wir und erinnern uns«, »Nimm den Helden zum Beispiel«, »Erben des Sieges« u.a.
Die Dynastien der Matrosen, Flieger, Panzersoldaten und weiterer militärischer Waffengattungen waren stets eine Sache des Ehre und des Stolzes der Familie. Diese Traditionen werden auch gegenwärtig durch die Gesellschaft und den Staat unterstützt.
Die Gefahr eines Krieges als gesellschaftlich-politisches Ereignis wird stets bestehen.
Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass sich der Staat, die Gesellschaft nicht auch der friedlichen Vervollkommnung des Systems der Beziehungen zwischen den Menschen und der Erziehung der Bürger widmen muss.
In der Kursker Schlacht entfalteten sich die besten Eigenschaften unseres Volkes, die selbstlose Hingabe gegenüber dem Vaterland, die Führungsfähigkeiten der Heerführer und Kommandeure, der Kollektivgeist, der Hass gegenüber dem Feind, die Bereitschaft zur Selbstaufopferung und die hohen moralischen und geistigen Eigenschaften, die wir als Patriotismus bezeichnen. Die Ereignisse des Sommers 1943 verbleiben für immer im historischen Gedächtnis unseres Volkes.
Ohne den militärischen Sieg der Sowjetunion, der unter größten Opfern errungen wurde, wäre die Barbarei des Faschismus nicht beendet worden. Vor 85 Jahren fand am Kursker Bogen die entscheidende Schlacht dieses Krieges statt. Nach dem Sieg der Sowjetarmee bei Kursk waren die Reserven der Faschisten erschöpft und die Westmächte beeilten sich, die zweite Front zu eröffnen. Aus diesem Anlass haben wir den Präsidenten des »Russischen Verbandes der Kriegsveteranen« mit dem die VVN-BdA seit Jahrzehnten in der FIR verbunden ist, um nebenstehenden Beitrag gebeten. In Zeiten politisch geschürter Russophobie halten wir es für unerlässlich, unsere russischen Partner selbst zu Wort kommen zu lassen; auch als Grundlage für weitere Diskussionen, nicht nur in unserem Verband.
Übersetzung: Dr. Jochen Willerding