Dieser Zustand ist nicht tanzbar!
23. August 2018
Aufstand der »Unanständigen« gegen AfD-Aufmarsch in Berlin
Ist es ein ermutigendes Zeichen, wenn sich etwa zwei Prozent der Berliner unterstützt von angereisten Unterstützerinnen gegen die AfD stellen? Oder waren es weniger als ein Prozent, wie es die Zahlen der Polizei und Presse nahelegen? Sei‘s drum, zwischen 25.000 und 70.000 Menschen wiesen am 27. Mai 2018 in Berlin den nationalistischen Aufmarsch der AfD in die Schranken.
Berlin erlebte staunend die wohl größte Mobilisierung gegen rechts seit 18 Jahren und dutzender rassistischer Morde in Deutschland seit dem Jahr 2000. Damals waren in Berlin am 9. November 200.000 Menschen als Reaktion auf den Brandanschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf auf die Straße gegangen. Zuvor hatte der damalige Bundeskanzler Schröder zu einem »Aufstand der Anständigen« aufgerufen.
Diesmal hatte die organisierte antifaschistische Szene aus Berliner Bündnis gegen rechts, Aufstehen gegen Rassismus und anderen nach Bekanntwerden der Pläne eines Teils der AfD, einen Marsch auf Berlin zu organisieren, ganz brav und traditionell ein Bündnistreffen einberufen, das von Beginn an sehr gut und breit gefächert besucht war. Ein populäres Motto wurde entwickelt – Stoppt den Hass! Stoppt die AfD! Ein Aufruf verfasst: »Unsere Alternative ist eine demokratische und offene Gesellschaft, unsere Alternative heißt Solidarität! Wir werden der AfD die Straße nicht überlassen!«
Was dann passierte, war überraschend, aber im Nachhinein nicht verwunderlich. Weitere Bündnisse stiegen auf diese Initialzündung ein. »Die Vielen« – Wir sind viele, jede einzelne von uns – eine Initiative von Kultur- und Theaterschaffenden, versammelten die Berliner Off-Szene, aber auch das Berliner Ensemble, das Deutsche Theater, das Gorki Theater und die Akademie der Künste hinter sich und riefen zur glänzenden Demonstration gegen die AfD. »Rechte Parteien oder Bewegungen sind keine Alternative. Das ›Volk‹, in dessen Namen sie sprechen, schließt viele von uns aus. Wir lassen eine Spaltung dieser Gesellschaft nicht zu. Keine Bühne für die AfD und andere Rechte – weder auf der Straße noch im Theater!«.
Auch die Berliner Clubszene ließ sich nicht lumpen. »Hauptsache es knallt! Keine halben Sachen-AfD wegbassen!«, war auf Plakaten zu lesen, die in den über hundert Clubs hingen, die einen gemeinsamen Aufruf unterschrieben hatten: »Kein Dancefloor für Nazis. Berlins Clubkultur ist alles, was die Nazis nicht sind und was sie hassen: Wir sind progressiv, queer, feministisch, antirassistisch, inklusiv, bunt und haben Einhörner. (…) Sie (die AfD) wollen am 27. Mai ihre menschenfeindliche Ideologie zum Kanzlerinnenamt tragen, um den Druck von Rechtsaußen aufrechtzuerhalten und zu verstärken. Sichtbare Merkmale dieser Strategie sind die Verschärfungen der Regierungspolitik gegen Geflüchtete, die Aufrüstung der sog. Inneren Sicherheit und – als Gipfel der Geschmacklosigkeit – das Heimatministerium. Dieser Zustand ist nicht tanzbar.«
Das Geflüchteten-Netzwerk »Welcome United« mobilisierte zu einem Fest gegen die AfD: »Wir sind das Gegenkonzept zur AFD, das Gegenkonzept zu Rassismus und Nationalismus. Wir kämpfen für ein solidarisches Miteinander, offene Grenzen und gleiche Rechte für Alle! Wir sind die Geflüchteten, die Migrant*innen und die Solidarischen, die gemeinsam dafür einstehen, dass Berlin antirassistisch und weltoffen bleibt.« Auch die Berliner Wasserstraßen waren besetzt:
»In dem derzeitigen autoritären Umbau der Gesellschaft erkennen wir Deutschlands Vergangenheit, Nie Wieder! hieß es in der Erklärung der Demo »Boote gegen Rechts«
Der Rest ist schnell erzählt. Die AfD absolvierte eine rasche, kurze Demonstration auf einer Route weitab der Öffentlichkeit vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor. Die Route war von der Polizei massiv gesichert, die gleiche Strecke waren schon zahlreiche rechte Aufmärsche gelaufen. Blockadeversuche wurden durch massiven Gewalteinsatz verhindert. Am Brandenburger Tor sahen sich die rechten Marschierer und Marschiererinnen von einer riesigen Menge von Protestierenden umzingelt, beschimpft und ausgepfiffen. Aus ihrer Sicht sicherlich der »Aufstand der Unanständigen«. Für die Qualität der antifaschistischen Mobilisierung sprach sicherlich auch, dass es in Berlin an diesem Tag nicht nur »cool« und ganz selbstverständlich war gegen die AfD zu protestieren, sondern auch, dass so vielfältig formuliert wurde, was diese Gesellschaft verlieren wird, wenn die AfD und ihr völkisches Weltbild die gesellschaftliche Diskussion weiterhin massiv nach rechts drängt. Die Demonstranten standen für ihre eigenen Interessen ein, sicherlich nicht zum letzten Mal. Was bleibt, sind auch neue Bündniserfahrungen-und -partnerinnen. Danke AfD, so schön sind wir in Berlin lange nicht zusammengekommen. Und das nächste Mal kommt ihr keine hundert Meter weit, versprochen!
Am Sonntag, dem 27.Mai, lief dann die Berliner Innenstadt rund um das Brandenburger Tor, dem Ziel der AfD, mit antirassistischen Demonstranten förmlich zu. Während die AfD-Organisatoren am Berliner Hauptbahnhof noch fleißig Deutschlandfahnen an ihre eintreffenden Marschierer verteilte, wummerten schon die Bässe der Musiktrucks des Anti-AfD- Raves auf der anderen Seite des Bahnhofs. Die Clubs hatten morgens ihre Türen geschlossen und die Besucher zur Demo geschickt, an den beiden Protestraves durch den Tiergarten nahmen zehntausende feiernde Menschen teil. Mit 8.000 Menschen startet die »Glänzende Demo« der »Vielen« am Weinberg Park, vor dem Reichstag sammelten sich Abertausende an der Bühne des Bündnisses »Stoppt den Hass! Stoppt die AfD!«