So grässlich Heßlich

geschrieben von Markus Tervooren

21. Oktober 2018

Wie Berlin zu einem Heß-Gedenkmarsch kam

Am 20. August 2018 schrieb ich im Berliner VVN-BdA–Rundbrief: »Nein liebe Freund*innen, ich werde jetzt nicht meine ganze Wut über den rot, rot, grünen Berliner Senat und den Neonaziaufmarsch vom Wochenende rauslassen (gemeint ist der Rudolf-Heßmarsch am 18. August 2018 in Berlin), bin ja Realist*in. Neonazis sind ja lediglich Arschlöcher, prügelnde Polizist*innen Verteidiger*innen des Grundgesetzes und Neonaziaufmärsche wichtiger Bestandteil der demokratischen Meinungsbildung. Verurteilte Holocaust-Leugner müssen natürlich von der Polizei zum Heßmarsch gefahren werden, am Bahnhof Lichtenberg wird die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt, dass protestierende Antifaschist*innen »menschlicher Unrat am Straßenrand« sind. Na klar, die Polizei hat sie ja schließlich dorthin verbannt. Danke Herr Innensenator, danke liebe Regierungsparteien für euren Einsatz. Der Polizeiführung sei für die Koordination der beiden Neonazis-Heß-Märsche gedankt, S-Bahn und BVG für deren Transport. Das nenne ich mal bürgernah. Bitte bereut nichts! Heß hat es schließlich auch nicht getan….«

Nachdem im vergangenen Jahr der Rudolf-Heß-Marsch im Spandau erfolgreich von einem breiten Bündnis blockiert worden war, machte sich, beflügelt davon auch dieses Jahr ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, von Antifagruppen, über antirassistische und kirchliche Basisinitiativen, Parteien, dem Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg bis hin zum evangelischen Bischof und dem Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus auf, diesen Erfolg zu wiederholen. Lala Süßkind, Vorsitzende des JFDA hatte zuvor auf einer Pressekonferenz dazu aufgerufen, sich den Neonazis »auch mit unseren Körpern« entgegen zu stellen. Zum Fest der Demokratie, das den Nazis das Ziel, den Ort des ehemaligen Kriegsverbrecher-Gefängnisses, verstellte, fanden sich so illustre Redner wie die Bundesfamilienministerin ein.

Doch den demokratischen Blütenträumen bereiteten der Berliner Innensenat(or), die Polizei und die Neonazis ein jähes Ende. Ein Verbot sei nicht zu machen, verkündete schon im Vorfeld Innensenator Geisel (SPD), die Grundrechte würden eben auch für »Arschlöcher« gelten. Eine weitere, vielleicht inhaltliche Begründung und auch eine vielleicht etwas genauere Beschreibung der »Arschlöcher« hielt der sprachlose Herrn Geisel nicht für nötig. Am Tag selber setze die Berliner Polizei die Aufmarschchoreographie der Neonazis um. Sicherlich auch angesichts der geringen Chance, in Spandau ungestört marschieren zu können, täuschten die Neonazis in Spandau nur kurz an, um dann von der Polizei begleitet in die Ostberliner Innenstadt zu fahren und von dort aus durch Friedrichshain und Lichtenberg zu marschieren. Zuvor hatte die Berliner Polizei zahleiche versprengte ortsunkundige Neonazigruppen zum Auftaktort am Platz der Vereinten Nationen gebracht. Zahlreiche Blockaden von Antifaschisten wurden geräumt, die 700 Neonazis marschierten gutgelaunt und gut geschützt zu ihrem geplanten Endpunkt, dem Bahnhof Lichtenberg. Zuvor machten sie ausführlich von ihren vom den vom Innensenator garantierten Grundrechten, auch für Arschlöcher, Gebrauch. Die strengen Auflagen der Polizei erlaubten Sprechchören wie »Wo man Juden deportiert, da ist das Rheinland!« oder »Wo ist eure Anne Frank?«. Hitlergrüße übersahen die Beamten. Das Fronttransparent der Neonazis zeigte, wie bereits vergangenes Jahr, das berühmte Rudolf Heß-Zitat »Ich bereue nichts«. Auf T-Shirts wurde Solidarität mit der verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck gefordert.

Wohlgemerkt, das passierte nicht in Dresden oder Chemnitz, sondern im rot rot grün regierten Berlin. Wer Neonazis so aktiv in den demokratischen Diskurs einbezieht und sich dabei der protestierenden linken Zivilgesellschaft, sorgfältig hinter massive Polizeiabsperrungen verbannt, als fortschrittliches Deckmäntelchen bedient, befeuert das Normalisierungsbestreben der Rassisten, Nationalisten und Antisemiten.

Unser zukünftiger Protest und Widerstand, unsere entschiedene Kritik muss sich also nicht nur den Neonazis, den Wutbürgern, der AfD widmen. Sondern auch jenen Politikerinnen, egal welcher Couleur, die glauben, Faschismus wäre eine Meinung unter anderen und eine Demokratie müsse das aushalten. So denken und handeln Menschen, die glauben, nichts zu befürchten zu haben. Vom Innensenator war übrigens bis heute nichts mehr zu hören.

Der Autor ist Geschäftsführer der Berliner VVN-BdA, er hat einige der Neonazis, die in Berlin marschieren durften, schon in Wunsiedel und auch bei dem Pogrom in Rostock Lichtenhagen gesehen, im Moment fahren sie vermutlich ganz gerne nach Chemnitz.