»Dieses Jahr kommt Bubis dran«

geschrieben von Markus Tervooren

17. Dezember 2018

Antisemitismus: Ein weiterer Grund für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

Die Forderung nach Gerechtigkeit und Aufklärung der nazistischen Verbrechen ist die Forderung der Angehörigen der durch den NSU Ermordeten heute und war die Forderung der Naziverfolgten und ihrer Angehörigen 1945.

Die Berliner VVN-BdA fordert vom rot-rot-grünen Senat, oder genauer von den Berliner Abgeordneten, seit Ende 2016 die Einsetzung eines Parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschuss auch für Berlin; eigentlich eine wohlfeile Gelegenheit, in Zeiten des Rechtsrucks und des Einzugs einer AfD-Fraktion in das Berliner Parlament, ein Signal der Solidarität an jene Berliner zu senden, die vom NSU-Terror besonders betroffen sind. Passiert ist bis heute nichts.

Im Vorfeld des 80. Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome am 9. November sollte eine weitere, grundlegende Triebkraft und ideologische Klammer des NSU-Terrors erwähnt werden: Der eliminatorische Antisemitismus des NSU-Netzwerks und seiner Vorgänger in Sachsen und Thüringen, dem es »Taten statt Worte« folgen ließ.

Zum Jahrestag der antisemitischen Pogrome vor nunmehr 23 Jahren wurde am 9. November 1995 eine Puppe mit einem Davidstern an einem Rohr der Stadtwerke Jena aufgehängt. Am 26. März 1996 ging im Büro von Ignatz Bubis, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, in Frankfurt/Main ein sprengstoffverdächtiger Gegenstand ein. In dem Brief befand sich ein Blatt Papier mit der Aufschrift: »Um 11 Uhr geht die Bombe hoch«. Zuvor hatte der NSU eine baugleichen Sprengstoff-Attrappe an die Polizeidirektion Jena geschickt, in dem beiliegenden Brief wurde ein Mord-Anschlag auf Ignatz Bubis angekündigt. »Dieses Jahr kommt Bubis dran.« Im April 1996 entdeckte ein Lkw-Fahrer eine Puppe auf der ein Davidstern mit dem Schriftzug »Jude« angebracht war, die an einer Brücke über der Autobahn A4 bei Jena aufgehängt worden war. Am folgenden Tag wäre Ignatz Bubis auf dem Weg zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald dort vorbeigefahren. Bubis war den Neonazis auch deshalb verhasst, weil er sehr schnell klare Worte zu den rassistischen Pogromen der 90iger Jahre gefunden hatte.

»Wiedergutmachungszahlung: Juden müssen für Verbrechen am deutschen Volk zahlen. Du erhältst 400 RM«, »Mache eine Inspektion im KZ Buchenwald« oder »Der Führer bedankt sich für deine Treue zum Vaterland. Du erhältst eine Prämie von 4.000 RM«.

Das sind Spielkarten aus dem »Pogromly«-Spiel, das Uwe Mundlos während seines Studiums am Kolleg der TU Ilmenau in den Jahren 1996/1997 entworfen hatte und das später vom NSU-Umfeld vertrieben wurde. Angelehnt an das bekannte Spiel »Monopoly« versetzen sich die »Spieler« in die Rolle von SA- und SS-Mitgliedern und »spielen« die Schoa und die Vernichtung der politischen Gegner. Es sollte der Finanzierung der abgetauchten NSU-Mitglieder Böhnhard, Mundlos und Zschäpe dienen.

Seit 2011 stellt sich die Berliner Polizei die Frage, ob auch die drei bis heute ungeklärten Sprengstoff-anschläge auf den Jüdischen Friedhof Heerstraße in Charlottenburg auf das Konto des Netzwerks gehen. 1998 explodierten am Grab von Heinz Galinski, dem früheren Präsidenten des Zentralrats der Juden, zweimal Rohrbomben, 2002 wurde ein Sprengsatz in den Eingangsbereich des Friedhofs geworfen. Alle Ermittlungen blieben bis heute ohne jeden Erfolg. Aber in der von Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau fand sich eine Adressliste, mit 10.000 Datensätzen, auf der sowohl der Jüdische Friedhof Heerstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf sowie Adressen der Synagoge in der Rykestraße und der Synagoge in der Oranienburger Straße verzeichnet waren.

Nach Ausstrahlung der Sendung »Kripo Live« am 7. Mai 2000 meldete sich beim LKA Sachsen der Zeuge Gründig, polizeilicher Objektschützer aus Berlin, der angab, während seines Dienstes an der Synagoge in der Rykestraße, am 7. Mai 2000 zwischen 13 und 14 Uhr vor einem gegenüberliegenden Lokal zwei Frauen, zwei Männern mit zwei Kindern, unter ihnen Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt, gesehen zu haben. Es ist anzunehmen, dass Zschäpe und Mundlos die Synagoge ausspähen wollten, um einen Anschlag zu verüben. Bei den Begleitern handelt es sich vermutlich um Jan Werner, einen der Waffenbeschaffer des NSU, damaliger sächsischen »Blood & Honour«-Sektionschef und Annett Wendefeuer, Hammerskin-Aktivistin und die damalige Lebensgefährtin vom Chef von »Blood & Honour Deutschland”, Stephan Lange, den das LKA Berlin als Spitzel Nias an den Bundesverfassungsschutz vermittelte. Nur vier Monate nach der Ausspähung der Synagoge verübten NSU-Mitglieder den Mord an Enver Simsek in Nürnberg. Wir sehen, die Spur des NSU führt immer auch nach Berlin.

Wir finden, es ist die Aufgabe der gewählten Parlamentarier, diese Spuren auszuleuchten. Nicht nur so, aber auch so kann der NSU-Komplex vielleicht einmal aufgerollt werden. Noch ist es nicht zu spät.

Die Berliner »V-Mann Skandale«, das Berliner LKA führte mindesten drei V-Personen im Umfeld des NSU, sollten unter anderem 2012 mit einem vom ehemaligen CDU- Innsenator eingesetzten »Sonderermittler« aufgeklärt werden. Die Behörde untersuchte sich also selber, das Ergebnis war vorhersehbar, Staatsanwalt Feuerbach fand keine gravierenden Fehler. Dass sich die Abgeordnetenhaus-Fraktionen bis heute damit zufriedengeben, muss auch nicht unbedingt verwundern, ihre Parteien waren damals oder sind heute mit der Regierung befasst.