Gespenstisches Comeback

geschrieben von Michael Klein

28. Januar 2019

Louis Ferdinand Célines »Die Judenverschwörung« ist wieder im Handel

Wer Louis Ferdinand Célines »Reise ans Ende der Nacht« (deutsch: zuerst 1933, nun in einer Neuübersetzung bei Rowohlt) nicht gelesen hat, dem ist eine beeindruckende Leseerfahrung entgangen. Der Roman gehört zum Kanon der Literatur des 20. Jahrhunderts. Wichtige Teile von Célines Werk, seine politischen Pamphlete, bleiben ungedruckt. Selbst eine angekündigte kritische Edition in Frankreich wurde 2018 abgeblasen. Grund: Im Vergleich zu heutigen strafrechtlich relevanten rassistischen Äußerungen seien die von Céline eine »Atombombe« (so Serge Klarsfeld). Sind die Pamphlete also nur in Antiquariaten oder in dunklen Ecken des Internets zu finden? Nein, seit neuestem erscheint bei uns sein »Hauptwerk« ganz regulär – in der regulären Nazifassung.

Louis Ferdinand Célines »Die Judenverschwörung« ist wieder im Handel

Louis Ferdinand Célines »Die Judenverschwörung« ist wieder im Handel

Ein Blick zurück. Zum Entsetzen der zeitgenössischen Literaturszene ruderte Céline in den 1930er und 1940er Jahren von »eher links« nach weit rechts außen. Während des Krieges warf Céline sogar allen Ernstes den Nazis vor, zu behutsam an die »Judenfrage« heranzugehen (Ernst Jünger: Tagebuch. 7. Dezember 1941).

Célines wichtigste Hetzschrift heißt im Original »Bagatelles pour un Massacre« und erschien Ende 1937 im Verlag Denoel. In der Schrift versucht Céline dazulegen, dass »überall« das Judentum herrsche, das einen alles vernichtenden Weltkrieg initiieren wolle. An ihrer Seite, von ihnen abhängig: Freimaurer und Kommunisten.

Der NS-Staat stimmte, wenig überraschend, Célines Grundaussagen zu. Trotzdem wurde sein Buch nach der Besetzung Frankreichs verboten. Der Grund: Es enthält Passagen, die dem Reich als politisch inkorrekt erschienen. Sie fehlen folglich in der deutschen Übersetzung, die kurz nach der französischen Ausgabe, noch zu Friedenszeiten, erschien. Die »Bagatellen« hießen nun »Die Judenverschwörung in Frankreich« und wurden im Umfang um etwa ein Drittel gekürzt. Céline: »Die Welt ist eine Aktiengesellschaft, ein Trust, dessen Aktien im Besitz der Juden sind. Seine Filialen sind: der Kommunismus, der Royalismus, die Demokratie, vielleicht sogar der Faschismus«. Die letzten vier Worte ließ man weg. Auch seine Ansicht, die Deutschen, »les boches«, seien (nur) gegenüber den Juden noch »das kleinere Übel«, ist gestrichen. Erst recht fehlt, dass Hitler »ein Cousin Stalins« sei (Louis-Ferdinand Céline: Bagatelles pour un Massacre. Paris 1937, S. 184, 186 – zitiert nach einem Internet-PDF). Célines wilder Sprachstil, in abgehackten Sätzen den Gedanken und der schäumenden Wut freien Lauf zu lassen, wurde geglättet. Die Umarbeitung war von ihm autorisiert, er war mit den Übersetzern bekannt.

Wer sich die deutsche Fassung antut, kommt sich anfangs vor, als besuche er ein jüdisches Kabarett, das zur Erheiterung eines aufgeklärten Publikums antisemitische Klischees präsentiert. Doch ist das Buch aber kein launiger 5-Minuten-Sketch, sondern die Suada zieht sich über hunderte von Seiten. »In Russland, in England, in Amerika«, überall herrsche der Jude, wie schon in den »Protokollen der Weisen von Zion« vorhergesagt. »Der Jude ist der König über Banken und Gerichte. Unmittelbar oder durch Strohmänner. Er besitzt alles: Presse, Theater, Rundfunk, Abgeordnetenkammer, Senat, Polizei«. An allem Übel sei »der Jude« Schuld. An Judenpogromen sowieso, aber auch am Alkoholismus, an der Prostitution, an der Krise am Buchmarkt, am Surrealismus, am Niedergang der Musikkultur (»Tamtam … der jüdischen Neger«). Fazit: Juden sind »Geschmeiß«, »Pack«, »Ungeziefer«, »Ratten«, »Cholera«. Als ob er ahnte, dass der Leser den Eindruck haben könnte, hier schreibe ein Insasse einer geschlossenen Anstalt, beteuert Céline schon auf den ersten Seiten, »nicht verrückt« zu sein (2018, S.8).

Geisteskrank war Céline wohl nicht. Als die Alliierten 1944 auf Paris marschierten, machte er sich schleunigst aus dem Staub und flüchtete via Deutschland nach Dänemark, wo er in Haft kam. Schlechter traf es seinen Verleger. Er wurde im Dezember 1945 von unbekannten Tätern erschossen.

Zu der Neuauflage ist zu sagen, dass sie entgegen der Behauptung des Schelm-Verlages, Leipzig, kein »unveränderter Nachdruck« der Ausgabe von 1938 ist. Das zeigen bereits anonyme Fußnoten, die sich auf Vorgänge bis ins Jahr 2018 beziehen. Sie liefern Zusatzinformationen; manchmal versuchen sie, Céline zu aktualisieren, wenn es etwa um die »Überfremdung Europas« geht. Um Anmerkungen hinzufügen, hat der Verlag über Scans des Originals ein Zeichenerkennungsprogramm laufen lassen. Mit wenig Erfolg. Bereits auf der ersten Seite finden sich grobe Schrifterkennungs-Lesefehler. Die Nazi-Lektoren waren einst sorgfältiger.

Wie sieht es eigentlich mit der Rechtslage aus? Der französische Verlag Gallimard, Verwalter der Übersetzungsrechte an Céline-Texten, erklärt auf unsere Anfrage hin, diese Veröffentlichung sei illegal.