Berlin: Der Heß-Marsch

geschrieben von Florian Gutsche

6. Februar 2019

Seit zwei Jahren ereignet sich in Berlin ein längst überholt geglaubtes Spektakel um den ehemaligen »Stellvertreter des Führers«, Rudolf Heß. Neonazis marschieren durch die Hauptstadt, um dem angeblichen »Friedensflieger« und der nationalsozialistischen Ideologie zu huldigen. Mit der These, dass der Tod des hochbetagten Heß ein Mordkomplott gewesen sei, haben sich Faschisten um den NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke ein für klassische Neonazis identitätsstiftendes Event in die Hauptstadt geholt.

Schon Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre marschierten faschistische Gruppen am Grab von Rudolf Heß in Wunsiedel auf. In seiner Geschichte hat das Gedenken an Heß unterschiedlichen Zulauf erhalten. Auch die Gegenproteste hatten in den 2000er Jahren an Fahrt aufgenommen und fanden 2004 mit der Kampagne »NS-Verherrlichung stoppen!« einen gemeinsamen Ausdruck. Als im gleichen Jahr über 5000 Nazis aus der ganzen BRD in Wunsiedel zusammenkamen wurde es auch dem deutschen Staat zu bunt. Für das folgende Jahr wurde die »Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft« unter Strafe gestellt. Damit war den Nazis die Möglichkeit genommen worden weiterhin in Wunsiedel aufzulaufen. Bis auf die »Trauermärsche« in Dresden konnten sämtliche Ersatzveranstaltungen und Ersatzkonzepte nicht die gleiche innere und äußere Wirkung entfalten, wie der Heß-Marsch.

Nach Jahren der trügerischen Ruhe hatten Christian Häger vom Aktionsbüro Mittelrhein und Sebastian Schmidtke aus der Berliner NPD für 2017 die Idee, den Heß-Marsch in Berlin-Spandau, dem Todesort von Heß, abzuhalten. Es gelang Ihnen, große Teile des Kameradschaftsspektrums und andere »klassische Neonazis« zu mobilisieren und so aus dem Stand bis zu 1400 Faschisten in Spandau und Falkensee auf die Straße zu bringen. Das verdeutlicht die Bedeutung, die der Heß-Marsch für Neonazis nach wie vor hat. Umso unverständlicher ist es, dass sich der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin nicht veranlasst sah, für 2017 und 2018 jeweils ein Verbot des Heß-Gedenkens zu erwirken, handelt es sich hier doch ganz klar um die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung des deutschen Faschismus. Da die Annahme, der Staat würde sich um faschistische Umtriebe schon kümmern, erwiesenermaßen falsch ist, gab es auch 2017 und 2018 Versuche, den Aufmarsch der Faschisten zu stören. War 2017 in den Augen der antifaschistischen Aktivisten noch ein relativer Erfolg, weil trotz kurzer Mobilisierungszeit viele Leute auf die Straße gebracht werden konnten, muss 2018 als desaströs angesehen werden. Staat und Nazis arbeiteten buchstäblich Hand in Hand. Die Berliner Regierung rollte den Neonazis den roten Teppich aus, auf dass sie die nächsten Jahre wieder kommen werden. Der antifaschistische Gegenprotest hätte sicherlich besser laufen können und taktische und strategische Fehleinschätzungen haben dazu beigetragen, dass die Neonazis im Prinzip ungestört durch die Berliner Innenstadt laufen konnten, aber die Hauptschuld für das Debakel von 2018 und die Tatsache, dass auf Jahre hinaus Neonazis in die Hauptstadt pilgern werden, um einer zentralen Person des deutschen Faschismus zu gedenken, hat der Rot-Rot-Grüne Senat in Berlin.