Riga: »Tag der Legionäre«
6. Februar 2019
Seit 1991 versammeln sich alljährlich am 16. März in der lettischen Hauptstadt Riga tausende Menschen zu einem Gottesdienst in der St. Johannes-Kirche, einem Ehrenmarsch zu Ehren der lettischen Verbände der Waffen-SS und einer fahnenumsäumten Kundgebung am Freiheitsdenkmal. Das ist eine der größten regelmäßigen Demonstrationen in Europa zur offenen Ehrung von NS-Tätern. Von 1991 bis 1998 war der »Tag der Legionäre« sogar Nationalfeiertag. Nach Anschlägen auf eine Synagoge und die russische Botschaft 1998 nahm die Regierung zumindest offiziell Abstand von dem nationalistischen Getöse.
Die Demonstranten, unter ihnen nur noch wenige Veteranen aber viele Nachfahren, sehen in den ehemaligen Nazi-Kollaborateuren lettische Freiheitskämpfer gegen die Sowjetunion. Sie hätten unglücklicherweise »auf der falschen Seite der Geschichte gestanden«. Ein großer Teil der jungen Männer wären zwangsrekrutiert, bzw. als Wehrpflichtige ausgehoben worden. Diese Bewertung für die lettische Waffen-SS hat sich nach 1990 in Lettland durchgesetzt; man findet sie zum Beispiel auch im offiziösen Rigaer »Okkupationsmuseum«.
Was die nationalistische Erzählung allerdings verschweigt: Der Kern und das Offizierskorps dieser Einheiten waren militante Antisemiten. Der sogenannte »Selbstschutz« und das berüchtigte »Kommando Arājs« beteiligten sich aktiv am Holocaust. Sie sind für annähernd 30.000 Morde an lettischen Jüdinnen und Juden verantwortlich. Kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Riga, im Juli 1941, starben in der größten Synagoge der Stadt ungefähr 300 Menschen. Die »Freiheitskämpfer« hatten sie in die Synagoge getrieben, die Türen mit Brettern vernagelt und das Gebäude anschließend in Brand gesetzt. Mit diesem Massenmord begann in Riga eine Welle von Pogromen. Die nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht aufgestellten lettischen Polizeieinheiten begannen mit den Mordaktionen an der jüdischen Bevölkerung Lettlands und jenen jüdischen Menschen, die aus dem deutschen Reich ins Ghetto Riga verschleppt worden waren.
Insgesamt wurden in Lettland rund 70.000 lettische Jüdinnen und Juden in ermordet. Dazu kamen etwa 200.000 aus Deutschland, die vor allem in das Ghetto Riga deportiert worden waren.
Am 16. März 1944 gewannen die beiden lettischen SS-Freiwilligen-Divisionen am Ladoga-See bei Leningrad ein Gefecht gegen Einheiten der Roten Armee. Ihr Kampf verlängerte den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und richtete sich auch gegen die Anti-Hitlerkoalition. Dieses Ereignis nahm die 1945 von Waffen-SS-Veteranen in Belgien gegründete lettische Exilorganisation »Daugavas Vanagi« (»Habichte der Düna«) seit den 1950er Jahren zum Anlass, den 16. März als Gedenktag zu Ehren der Waffen-SS zu begehen. Heute gehört »Daugavas Vanagi« zusammen mit der Partei Nacionālā apvienība (»Nationale Allianz«) zu den Organisatoren des Aufmarsches, an dem regelmäßig auch Nationalisten und Neonazis aus Litauen, Polen, der Ukraine, Skandinavien und Deutschland teilnehmen
Lettische Antifaschistinnen und Antifaschisten, wie das Lettische Antifaschistische Komitee, Angehörige der russischen Minderheit und der jüdischen Gemeinden, protestieren seit Jahren gegen den Aufmarsch. Sie werden international unterstützt durch das Simon-Wiesenthal-Zentrum, die FIR und die VVN-BdA – mit kleinen Kundgebungen in Riga selbst, aber auch vor lettischen Botschaften und Konsulaten in Europa. Die Organisatoren der Proteste in Lettland werden engmaschig von der lettischen Sicherheitspolizei überwacht, internationale Unterstützer wurden auch schon direkt am Flughafen abgefangen und ausgewiesen. Das passierte z.B. fünf Mitgliedern der VVN-BdA im März 2016. Gerade deshalb müssen die Proteste weiter gehen. Markus Tervooren
Aktionen des Kommando Arājs richteten sich auch gegen Insassen von psychiatrischen Krankenhäusern. Die Mitglieder dieser Mordkommandos wurden 1943 in die lettischen Waffen-SS-Einheiten eingegliedert und deren Reihen mit lettischen Wehrpflichtigen aufgefüllt.