Auch eine »Nachfolgegesellschaft«?
7. April 2019
Ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der DDR-Zeitgeschichtsforschung
In den Jahren 2014/15 entstand in Ostdeutschland eine rechte, in Teilen neonationalsozialistisch geprägte Massenbewegung, die mit der AfD auch über einen parlamentarischen Arm verfügt, dessen Wirkmächtigkeit alles übersteigt, was die klassischen rechtsradikalen Parteien in der BRD in ihren jeweiligen Hochphasen erreicht haben. Damit wurde, mit geringer Verzögerung, für die DDR, wie schon zuvor für Polen, Ungarn etc., endgültig die die Annahme ad absurdum geführt, dass sich die ehemals realsozialistischen Länder nach dem demokratischen Umbruch 1989/90 in einem stetigen Aufholprozess befänden, der irgendwann am Ziel einer bürgerlich-demokratischen, kapitalistischen Gesellschaft, entsprechend den westeuropäischen Modellen, ankommen würde. Auf der Suche nach den Gründen dafür, wandte sich die mediale und politische Diskussion der Geschichte Ostdeutschlands in den letzten Jahrzehnten in einer Intensivität zu, wie lange nicht mehr. In diese Diskussion wollen die Historiker und Publizisten Enrico Heitzer, Martin Jander, Anetta Kahane und Patrice G. Poutros als Herausgeber des jüngst erschienen Sammelbandes »Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR – Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der DDR-Zeitgeschichtsforschung« intervenieren. Sie fordern, die DDR nicht mehr nur als »kommunistische Diktatur« und Produkt sowjetischer Besatzungsherrschaft zu verstehen, sondern als neben der BRD und Österreich dritte Nachfolgegesellschaft des Dritten Reiches, die in ihren inneren Dynamiken vom Nachleben des Nationalsozialismus geprägt war. Eine entsprechende Betrachtung hätte demnach nicht nur Bedeutung für die Geschichtswissenschaft, sondern auch für die Auseinandersetzung mit autoritären, antidemokratischen und antisemitischen Ideologien in den östlichen Bundesländern.
Der Band versammelt neben den Herausgebern mit Klaus Bästlein, Ingrid Bettwieser, Daniela Blei, Tobias von Borcke, Christoph Classen, Raiko Hannemann, Jeffrey C. Herf, Gerd Kühling, Christiane Leidinger, Katharina Lenski, Annette Leo, Günter Morsch, Agnes C. Mueller, Helmut Müller-Enbergs, Heike Radvan, Carola S. Rudnick und Regina Scheer Autorinnen und Autoren, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten kritisch mit der Geschichte der deutschen realsozialistischen Diktatur auseinandergesetzt haben, ohne dabei der Totalitarismusdoktrin zu folgen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Auseinandersetzung mit antisemitischen Politiken von Staats- und Parteiführung, insbesondere der Diskriminierung jüdischer ReemigrantInnen in der DDR und der Unterstützung politischer und militärischer Aktionen gegen den Staat Israel. Die Texte haben, wie das bei Sammelbänden nun mal so ist, unterschiedliche Qualität, von interessant zu lesend bis ärgerlich. Dass Vieles nur umrissen, nur skizziert werden kann, ist angesichts des Formates des Bandes auch nicht zu beanstanden.
Problematisch hingegen sind andere Aspekte dieser Veröffentlichung. So bietet sie letztlich wenig Neues. Wer sich ein bisschen mit den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen der letzten 30 Jahre, gerade in Bezug auf die DDR, befasst hat, hat das Gefühl, die meisten Texte geringfügig variiert anderswo schon einmal gelesen zu haben. Weder sind die Themen neu, noch die Zugänge. Die meisten Texte bleiben auf einer deskriptiven Ebene. Im Text »Von der ideologischen Schuldabwehr zur völkischen Popaganda« kritisiert Kahane: »Politiker aller Richtungen jedoch bewerten die DDR nach ihren Erscheinungsformen, nicht nach ihrer Entstehungsgeschichte«. Selbst jedoch bleiben die Beiträge in der Regel auch an Erscheinungsformen kleben, ohne analytisch in die Tiefe zu gehen. Fluchtpunkt der Kritik an der postnazistischen DDR ist in einigen Texten offensichtlich die liberale westdeutsche Gesellschaft, die ihre Geschichte aufgearbeitet hat, ohne dabei zu reflektieren, inwiefern die bundesdeutsche Form der Vergangenheitsbewältigung selbst Ausdruck des deutschen Postnazismus ist.
Nicht diskutiert wird auch die Frage, wie heute, 30 Jahre nach dem Ende der DDR, eine gesellschaftlich wirksame, selbstkritische Auseinandersetzung mit der DDR als postnazistischer Gesellschaft überhaupt aussehen könnte. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage unterbleibt leider genauso, wie eine Bezugnahme der Texte aufeinander. Der Band versammelt den linksliberalen Rand der akademisch anerkannten DDR-Forschung, lässt die Autorinnen aber unvermittelt nebeneinander stehen. Das ist für ein »Plädoyer für einen Paradigmenwechsel« etwas wenig. Tatsächlich ist das enttäuschende Gefühl, das die Lektüre des Buches hinterlässt, darauf zurückzuführen, dass die Herausgeber Forderungen an Geschichtswissenschaft und politisch-mediale Diskussion über die DDR richten, denen sie selbst nur bedingt nachkommen.