Die Europawahlen und die Rechten

geschrieben von Martin Schirdewan

7. April 2019

Rechtsaußenparteien und -bewegungen gewinnen im Nachklang der globalen Finanzkrise von 2008 weltweit in vielen Staaten an Popularität. Zu sehen war dies bei der Wahl Donald Trumps in den USA, Recep Tayyip Erdogans in der Türkei, Victor Orbans in Ungarn, Shinzo Abess in Japan und Jair Messias Bolsonaros in Brasilien. Auch europaweit ist der Nationalismus wieder auf dem Vormarsch, und zwar nicht nur in Ungarn, Polen oder Großbritannien.

Die Europawahl von 2014 war bisher die erfolgreichste für die Rechtsaußen-Parteien. Zusammen haben die EU-skeptischen bis EU-feindlichen Parteien, die sich in Fraktionen und Bündnissen rechts von der christlich-konservativen europäischen Volkspartei (EVP) gesammelt haben, 172 Mandate im EU-Parlament erhalten. Dies entspricht knapp 23 % der Sitze. In der Legislaturperiode 2009 bis 2014 lag der Sitzanteil dieses Parteienspektrums noch bei rund 15%, 2004-2009 bei 12,4%. In der vorherigen, von 1999-2004 kamen nur 11% der Abgeordnete aus rechten Parteien. Ein Beleg dafür, dass die Rechtsaußenparteien aufgrund der weltweiten Finanzkrise und der folgenden krisenhaften Prozesse an Zuspruch gewonnen haben.

Viele der heute so erfolgreichen rechten Parteien haben sich erst in der Legislaturperiode zwischen 2009 und 2014 gegründet. Dennoch ist zu erkennen, dass sich die teilweise erst seit kurzem existierenden Parteien vom rechten Rand in der EU in einem langfristigen politischen Aufwärtstrend befinden, der sie in den letzten Jahren in einigen Mitgliedstaaten an die Schwelle der nationalen Mehrheitsfähigkeit oder sogar in Regierungen geführt hat. Der Erfolg der rechten Parteien im Europaparlament seit 1979 zeigt neben der starken Zunahme zudem zweierlei: Zum einen haben die von den rechtsextremen Parteien vertretenen nationalen Sonderinteressen eine Zusammenarbeit enorm erschwert, zum anderen haben die rechten Positionen innerhalb der etablierten christlichen und konservativen Parteien deutlich zugenommen, gerade in der Migrationsdebatte. Durch den starken Anstieg der Rechtsaußenparteien und diesem Tabubruch der christlich-konservativen Parteien ist es keineswegs übertrieben, von einem dramatischen Rechtsruck im Europaparlament zu sprechen.

Dementsprechend geben sich nun die Rechtsaußenparteien der EU sehr selbstbewusst, wenn es um die kommenden Wahlen 2019 geht.

Welche Ziele und Strategie verfolgen die rechten Parteien in Europa?

Die Ziele der rechten Parteien unterscheiden sich zum Teil deutlich. So finden sich neoliberale Rezepte häufiger beim Rechtskonservatismus, als beim Rechtsextremismus, während die soziale Frage eher vom Rechtsextremismus (oft im Sinne eines nationalen Sozialismus), als vom Rechtskonservatismus thematisiert wird. Kapitalismuskritik wird ausschließlich von Rechtsextremen vorgetragen. Die geäußerte Kapitalismuskritik der Rechtsextremen bezieht sich vor allem auf das Finanzkapital. Dies soll angeblich in jüdischer Hand (»Ostküste der USA«) die Weltherrschaft anstreben.

Martin Schirdewan ist Spitzenkandidat der Partei Die Linke bei der Europawahl

Martin Schirdewan ist Spitzenkandidat der Partei Die Linke bei der Europawahl

Von Ungarn aus wird gegen den jüdischen Finanzmagnaten George Soros gehetzt, Gründer der Open Society Foundation. Diese Hetze findet aber Anklang bei anderen rechten Parteien wie der AfD oder Rassemblement National. Die Hinwendung zu sozialen Themen sowie der Kapitalismus- beziehungsweise der Globalisierungskritik setzte zumeist im Laufe der 1990er Jahre ein. Die Rassemblement National und die Dänische Volkspartei kritisieren zum Beispiel Aspekte des Neoliberalismus. Geben sich die einen, wie die niederländische PVV, sozialliberal, treten andere, etwa die polnische PiS, eher sozialreaktionär auf.

Dies bedeutet, dass sich die einzelnen Parteien trotz ähnlicher Ursachen für ihr Wachstum ideologisch, politisch und in Bezug auf ihre Anhängerschaft stark voneinander unterscheiden. Dennoch, ein wichtiger, teilweise zentraler Bestandteil aller europäischen Rechten in West- und Osteuropa ist mittlerweile der antimuslimische Diskurs. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA hat sich die Islamfeindschaft zu einer neuen Qualität des Rassismus entwickelt. Während die meisten überzeugte Islamgegner sind, machen einige, etwa die ungarische Jobbik und Fidesz, die im Europäischen Parlament mit der Union in einer gemeinsamen Fraktion sitzen, auch aus ihrem Antisemitismus keinen Hehl mehr.

Andere zentrale Themen der Rechtsaußenparteien sind die Begrenzung der Zuwanderung und die Betonung des kulturell Eigenen gegen das Fremde. Dahinter steckt völkische Ideologie: Das kulturell homogene Staatsvolk soll erhalten werden. Es geht nicht mehr nur um die Anerkennung von kulturellen Differenzen unterschiedlicher Ethnien (Ethnopluralismus), sondern um einen Kulturkampf, um die Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen den vermeintlichen Ansturm von angeblich unzivilisierten Muslimen (antimuslimischer Rassismus). Bezüglich der Ordnung Europas zielen sie auf einen Nationalismus ab, der sich zumeist nicht auf Großmachtbestrebungen oder Expansionismus fokussiert, sondern auf die Widerherstellung, Bewahrung oder Kräftigung von autonomen Nationalstaaten. Sie fordern ein Europa der Vaterländer und damit verbunden die Stärkung der nationalen Identität der einheimischen Bevölkerung. Dabei ist in westeuropäischen Ländern eher der Ethnozentrismus stärker ausgeprägt als der Nationalismus. Dies ist zum Beispiel in der Pegida-Bewegung zu sehen, bei der »patriotische Europäer« gegen die Islamisierung kämpfen und häufig auch Gäste aus anderen europäischen Ländern einladen.

Ein weiteres Themenfeld eint die Rechten. Die Tatsache, dass in ihren politischen Forderungskatalogen die Freiheit von Frauen, ihr eigenes Leben selbstbestimmt, in Freiheit und Sicherheit zu leben, nicht vorgesehen ist. Da sollen mal die Sozialleistungen für alleinerziehende Mütter eingeschränkt werden, mal der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütungsmitteln verhindert oder religiöse – meist muslimische – Kleidung im öffentlichen Raum verboten werden. So wird auch die Familienpolitik vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu einem zentralen Politikfeld.

Typisch für rechtspopulistische Parteien ist eine autoritäre Law-and-Order-Politik, die sich zumeist mit einer massiven Anti-Establishment-Polemik verbindet. Ihrer Meinung nach kümmern sich die etablierten politischen Kräfte angeblich zu wenig um die innere Sicherheit und die Bekämpfung der Ausländerkriminalität.

Insgesamt richten sich die Parteien und Fraktionen am rechten Rand mit unterschiedlicher Intensität gegen die europäische Integration. Beim Thema EU variieren die Vorstellungen von kompletter Ablehnung und Exit (EFDD, ENF) bis hin zu einem intensiven Rückbau (EKR).

Die Rechten betreiben ihre Kampagnen, indem sie versuchen, starke Emotionen bei den Wählerinnen und Wählern auszulösen – Kampagnen, in denen sie ständige Krisen und einen ständigen Ausnahmezustand simulieren. Sie nutzen die Ängste und Befürchtungen des von Abwärtsmobilität und Prekarisierung bedrohten Teils der Gesellschaft. Mit diesen Ängsten wüten sie gegen Immigranten und vor allem Muslime, kritisieren Globalisierung und Kosmopolitismus und geben Liberalismus, Feminismus und Sozialismus die Schuld an allem, was aus ihrer Sicht schiefgelaufen ist. Ihr Trick ist, dass sie wirtschaftliche Ursachen in kulturelle umdrehen. Solange Unzufriedenheit und Wut an den Schwachen und nicht an den ökonomisch Starken ausgelassen werden, bleiben die Rechten nützliche Werkzeuge, um eine Politik der sozialen Ungleichheit durchzudrücken, die die Vermögenden bevorzugt und auf Kosten der Mittelschicht geht.