Höhen- und Sturzflüge

geschrieben von Reinhold Weismann-Kieser

7. April 2019

Retrospektive des Werks von Florentina Pakosta

Das Sprengelmuseum zu Hannover, am Kurt-Schwitters-Platz gelegen, ist »ein Haus für die internationale Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts«. Zu den Herzstücken seiner umfangreichen Sammlung gehört das Werk des DADA-Pioniers Kurt Schwitters, der von den Faschisten vertrieben wurde, mit einer Rekonstruktion seines MERZ-Baus. Ein weiterer Schwerpunkt gilt dem Werk des sowjetischen Avantgardisten El Lissitzky (1890–1941), dessen »Kabinett der Abstrakten« von 1926 bis 1927 im Provinzialmuseum eingerichtet worden war. Es wurde 1937 unter den Nazis zerstört. Eine Rekonstruktion von 1968 im Landesmuseum stand ab 1979 im Sprengel-Museum und wurde später durch eine dritte Version ersetzt.

Dieses Haus hat es nun im letzten Herbst unternommen, eine groß angelegte Werkschau der österreichischen Künstlerin Florentina Pakosta zu präsentieren. Die gezeigten Werke sind eine erweiterte Schau dessen, was in der Albertina zu Wien anlässlich des 85. Geburtstags der Künstlerin im letzten Sommer zu sehen war. Sie wird dabei primär als eine Vertreterin der feministischen Kunst Österreichs vorgestellt. Diese Thematik beherrscht auch den großen Teil des Werks bis 1989. Es umfasst zunächst großformatige Männerportraits, ausgeführt in einer akribischen schwarzweißen feingerasterten Linientechnik, die männlichen gesellschaftlichen Herrschaftsanspruch versinnbildlichen, später surrealistisch verfremdet durch Auswüchse wie Wasserhähnen an den Mündern oder Pistolen auf den Köpfen. Diese Bilder sind stark geprägt durch ihre persönlichen Erfahrungen in ihrem Kampf um Anerkennung als Frau in einer fast ausschließlich von Männern dominierten Kunstwelt. In ihren Selbstportraits setzt sie sich bewusst gegen ein männlich definiertes Schönheitsideal ab. In zahlreichen Studien von Händen befasst sie sich mit Gebärden als menschlichen Ausdrucksmitteln.

Mit dem Jahr 1989 wechselt sie radikal ihre Stilmittel und Sujets: Dreifarbige konstruktivistische Objekte, die an verbogene Stahlträger gemahnen. Eingeführt wurde in diesen Teil der Ausstellung mit einem längeren Zitat der Künstlerin, überschrieben mit den Worten: »Plötzlich und unerwartet veränderte sich … die politische und … soziale Landschaft Europas. …Neue Freuden, neue Hoffnungen und neue Gefahren und Ängste wurden wahrnehmbar – Höhenflug und Sturzflug zugleich. (…) – ich strebte eine Symbolik an, die für die Freiheit neuer Gedanken steht, für neue Rechte von Mann und Frau …« Sie verarbeitet hier aber auch » … Erinnerungen an traumatische Erlebnisse des Kindes, das … im zerstörten Wien vor seinem zerbombten Zuhause stand …« Die kontrastierenden Farben sollen dabei beunruhigen, gemäß ihrem an anderer Stelle geäußerten Prinzip, Farben müssten »wie Gift sein«, dürften Bilder »nicht schön« machen.

Unvermittelt betrat der Betrachter zum Schluss einen Raum, markiert mit einer kleinen Tafel des Inhalts: »Menschen-Massen, Waren-Landschaften«. Er sah zunächst ein Tableau mit einer wirren Ansammlung von Wäscheklammern, dann zwei Bilder mit unzähligen gleichförmigen Schuhen, schließlich eine uniforme Ansammlung von Männerköpfen.

Wer die Bilder der Warenlager der SS vor Augen hatte, die die Rote Armee in Auschwitz vorfand, der verließ diesen Raum höchst verwirrt und beun-ruhigt. Dem Katalog kann man zwar entnehmen, hier gehe es um eine Kritik der industriellen Massenproduktion mit dem damit einhergehenden Verlust an Individualität. Abgesehen von der Beschränkung auf die Konsumsphäre und dem Fehlen der Frage nach den Arbeits- und Lebensbedingungen der Produzenten bleibt aber das Unbehagen angesichts der hier gewählten Bildsprache.

Insgesamt muss gesagt werden, dass die die Bewertung ihres kritischen künstlerischen und gesellschaftlichen Engagements als »feministisch« zu eng ist. Dies wird besonders deutlich in einem Interview, das sie im Juni 2018 dem Wiener Standard gab. Auf die Frage nach ihren Motiven äußert sie da: »Am meisten interessiert mich, warum es Kriege gibt. Ich weiß, sie sind ein Geschäft.« Hier geht sie wesentlich über das hinaus, womit sie in der Ausstellung zitiert wird. (Männer seien es, die Bomben auf Städte werfen …).

Auch ihre scharfe Stilwende 1989 erklärt sie dort nicht so allgemein mit »Neuem Denken« und »Zeitenwende« sondern mit der ganz real gestiegenen Kriegsgefahr: »Im Kalten Krieg wusste man, dass einer auf den anderen doch nicht losgeht. Heute weiß man nicht, von welcher Seite die Atombombe kommt. Was ich vorher gemacht hab, kam mir zahm vor.« Zu den aktuellen Strömungen des Feminismus bezieht sie dann auch wohlwollend – kritische Distanz.

Florentina Pakosta, Große Schuhlandschaft, 1988