Justiz und Kapital

geschrieben von Erika Klantz

7. April 2019

Die Nürnberger Wirtschaftsprozesse

Bereits während des Krieges einigten sich die Alliierten darauf, dass die Verantwortlichen für die NS-Verbrechen (darunter auch Unternehmer und führendes Firmenpersonal) strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Über die normale Beweissicherung hinaus, mussten die Ankläger auch beweisen, dass die Angeklagten aus den Unternehmen sich an Verbrechen schuldig gemacht hatten und nicht zu den Tathandlungen gezwungen worden waren. Auch kamen nur solche Straftaten in Frage, deren sich die eigene Unternehmerschaft nicht auch schuldig gemacht hatte.

Den Auftakt dieser Wirtschaftsprozesse bildete ab 18.04.1947 das Verfahren gegen Friedrich Flick und fünf weitere Männer seines Führungspersonals. Zum Flickkonzern gehörten u.a. Kohlegruben, Verhüttungs- und Maschinenbaubetriebe. Anklagepunkte (AP) waren 1. Ausbeutung von Zwangsarbeitern, 2. Aneignung ausländischer Industriebetriebe, 3. Bereicherung an jüdischem Eigentum, 4. Mitgliedschaft im »Freundeskreis Heinrich Himmler« und Unterstützung der SS und 5. SS-Mitgliedschaft.

Das am 22.12.1947 verkündete Urteil verurteilte Friedrich Flick (AP 1, 2 und 4) zu sieben Jahren Haft, seinem Neffen Bernhard Weiß (AP 1) zu zweieinhalb Jahren und Otto Steinbrinck (AP 4 und 5). Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen. In der Urteilsbegründung übernahm das Gericht vielfach die Argumentation der deutschen Verteidiger. Für den Zwangsarbeitereinsatz wurde ausschließlich der Staat verantwortlich gemacht. Flick und Weiß wurden nur belangt, weil sie Gefangene angefordert hatten (AP 1). Die Aneignung ausländischer Betriebe durch die Angeklagten sah das Gericht nicht. Nur für die Vorenthaltung des Besitzes der Eigentümer durch Flick wurde dieser verurteilt. Für den AP 3 fühlte sich das Gericht nicht zuständig. Den »Freundeskreis Heinrich Himmler« bewertete das Gericht nicht als verbrecherisch. Nur Zahlungen Flicks und Steinbrincks an Himmler wurde als strafbar angesehen. Da nur Steinbrinck SS-Mitglied (Brigadeführer) war, wurde auch nur er nach AP 5 verurteilt.

Ähnlich wie im Flickprozess sah die Anklage auch im zweiten, am 14.08.1947 eröffneten Verfahren gegen 24 Führungsmänner der IG Farben aus. Hinzu kam hier die Verschwörung zum Angriffskrieg. Die IG Farben AG war der größte Chemiekonzern der Welt und schon in der Weimarer Republik als Vereinigung aller großen deutschen Chemiefirmen entstanden. Doch wie bereits im Flickprozess wollte das Gericht eine Verantwortlichkeit von Firmenchefs für NS-Diktatur und Krieg nicht sehen. Nur der Richter Paul M. Herbert äußerte in seinem Minderheitenvotum eine grundsätzlich andere Auffassung. Lediglich bei der Aneignung und Ausplünderung von Betrieben und bei der Ausbeutung durch Zwangsarbeit sah das Gericht die Strafbarkeit. Letzteres war angesichts des faktisch eigenen Betriebs im KZ-Auschwitz-Monowitz nur schwer zu leugnen. So wurden am 29.07.1948 nur dreizehn Angeklagte – darunter der Aufsichtsratsvorsitzende Carl Krauch und der Verantwortliche für die Zwangsarbeit Otto Ambroß – zu Freiheitsstrafen von eineinhalb bis acht Jahren verurteilt.

Das letzte unternehmensbezogene Verfahren begann am 17.11.1947 gegen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und elf weitere Männer. Der Kruppkonzern war einer der größten Stahl- undWaffenproduzenten. Die Anklagepunkte waren mit denen im IG-Farben-Prozess fast identisch. Überraschenderweise ließ das Gericht die Anklagepunkte zu Verschwörung zum Angriffskrieg und zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits Monate vor der Urteilsverkündung fallen. Trotzdem kam es – verglichen mit den anderen Wirtschaftsprozessen – zu relativ hohen Haftstrafen und nur einem vollständigen Freispruch. Krupp wurde wegen Aneignung und Ausplünderung von Privatunternehmen in den besetzten Staaten und wegen des Zwangsarbeitseinsatzes zu zwölf Jahren Haft verurteilt und sein Vermögen eingezogen. Fünf weitere Angeklagte wurden wegen der Unternehmensaneignung, elf der Angeklagten wegen der Zwangsarbeitsverbrechen zu zwei bis zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Überschattet wurden die Prozesse und die Urteile durch den beginnenden Kalten Krieg. Den Anklägern wurden vorgeworfen, dass sie dem Kommunismus nahe stünden und »Verfolgungsexzesse im Namen einer rassischen Minderheit« durchführten. Zwei Gesichtspunkte spielten dabei eine Rolle: Erstens wollte man in und mit deutschen Industriellen wieder rentable Geschäfte treiben und zweitens nicht eines Tages selbst wegen Aufrüstungsgeschäften und vorteilhaften Unternehmensübernahmen in abhängigen Staaten plötzlich vor fremden Gerichten stehen. Dies führte ab Juli 1949 dazu, dass der US-Hochkommissar, John McCloy, bis 1958 alle noch inhaftierten Verurteilten der Nürnberger Nachfolgeprozesse im Gnadenweg die Freiheit verschaffte. Alfried Krupp bekam sein Vermögen wieder. Viele Angeklagte machten weiter Karriere und wurden vielfach geehrt. Ein Fortschritt sind die Verurteilungen in den Nürnberger Wirtschaftsprozessen trotzdem.