Wessen Feind bin ich?

geschrieben von Ulrich Sander

7. April 2019

Eine persönlich Antwort an den Verfassungsschutz

Ausgerechnet zum 27. Januar, Tag der Befreiung von Auschwitz und der vielen Lippenbekenntnisse für die Ehrung der Holocaustüberlebenden, erreichen mich Mails zu den Angriffen des »Verfassungsschutzes« auf die VVN-BdA und auf meine Person in ihrer Eigenschaft als Bundessprecher der VVN-BdA. Es sind Angriffe, die die Reden des Tages Lügen strafen, weil sie die Hinterbliebenen des Widerstandes und der NS-Verfolgung erneut treffen sollen. Der bayerische Verfassungsschutzbericht, in dem ich seit Jahren exklusiv als »Beweis« der linksextremistischen Beeinflussung der VVN-BdA herangezogen werde, wird neuerdings benutzt, wenn Behörden auch in anderen Bundesländern gegen die VVN-BdA vorgehen, insbesondere die Finanzämter.

Die VVN-BdA wird als antikapitalistisch und damit verfassungsfeindlich dargestellt; sie wolle die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen, die sie als Vorstufe zum Faschismus ansehe. Das sind unerträgliche Verdrehungen: Weder ist Antikapitalismus Voraussetzung für Antifaschismus, noch  kann die Kapitalismuskritik als Verstoß gegen das Grundgesetz angesehen werden; vielmehr enthält das Grundgesetz in Eigentumsfragen durchaus antikapitalistische Tendenzen. (Und es kennt keine Absage an Kapitalismuskritik, wie das immer noch gültige Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1954 aussagt.)

In den Mails zum letztjährigen VS-Bericht aus Bayern wird vor allem auf die Seite 223 des VS-Berichts hingewiesen. Darin wird meine Gastkolumne zum 70. Jahrestag der VVN in der UZ vom 31. März 2017 genannt, ohne dass diese vier Sätze zitiert werden: »Nach der ›Wende‹ von 1990 gab es keine Friedensdividende, sondern neue Kriege. Die VVN überstand ihre Krise in jener Zeit. Sie gab und gibt dem Ringen um Frieden und Demokratie, gegen neue Nazis, derzeit besonders gegen die AfD, starke Impulse. Die erschreckenden weltweiten Kriegsszenarien von Heute  sollten nicht den Blick auf besondere Aufgaben für die derzeitige deutsche Friedensbewegung verstellen.«

Zitiert wird nur das dann Folgende:

»In dieser Situation ist von breitesten Bündnissen der Blick auf unsere deutsche Verantwortung vor der Geschichte zu richten: Abrüstung und kein Krieg von deutschem Boden aus, kein Rammstein, kein Kalkar, keine Speerspitze im Münsterland. Zutreffend die VVN-BdA-Losung mit Blick auf den Hauptfeind im eigenen Land: ›Deutsche Großmachtträume platzen lassen‹«.

Und dazu: »Damit unterstellt Sander, dass von Deutschland eine Kriegsgefahr ausgehen würde.« Und »Damit bezieht sich Sander auf eine Schrift von Karl Liebknecht, wonach die Hauptgefahr für den Frieden vom deutschen Militarismus ausgehe, weshalb der Hauptfeind im eigenen Land stehe.«

Hier erleben wir einen schöpferischen Akt des Geheimdienstes. Von all den Persönlichkeiten aus der internationalen Arbeiterbewegung, die völlig zu Recht vom Hauptfeind im  eigenen Land sprachen und sprechen, fiel dem VS Liebknecht ein. Es ist mir eine Ehre, in diesem Zusammenhang genannt zu werden. Der VS wurde seit seiner Gründung von äußerst rechten Personen geprägt und steht somit in der Tradition jener, die 1918/19 Schilder aufstellten: »Tötet Liebknecht!«, »Schlagt ihre Führer tot.« Nun werde ich wohl nicht totgeschlagen, aber mundtot soll ich gemacht werden und mit mir die VVN-BdA.

Es wird ihnen nicht gelingen. Wir werden weiter kritisieren, dass die Regierung dieses Landes die Lehren der Geschichte ausschlug, indem es die Folgen der Weltkriege, auch des ersten, zu beseitigen sich anschickte, wie es der Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz in einer internen Konferenz von Kapital und Militär verlangte, an der ich 1991 teilnahm. Und geht keine Kriegsgefahr von Deutschland aus, wenn jetzt der höchste Militäretat seit Gründung der Bundeswehr beschlossen wird? Wenn sogar wieder deutsche Atomwaffen verlangt werden? Wenn Regimechanges entgegen dem Völkerecht angestrebt werden?  Wenn Deutschland immer wieder Waffen an kriegführende Länder liefert? Stehen etwa russische Truppen an der Grenze zu Deutschland? Nein, deutsche Truppen stehen wieder ganz nahe der russischen Grenze. Und man schickt sich nach der INF-Aufkündigung an, wieder Mittelstreckenraketen von Deutschland aus auf Russland zu richten. Der Außenminister verkündet, Deutschland wolle mehr Verantwortung übernehmen. Verantwortung war stets der Begriff für deutsche Kriegführung. Nach Angaben des Kriegsministeriums bestehen die Landstreitkräfte der von Deutschland im Baltikum angeführten Speerspitze der NATO aus rund 8000 Soldaten. Dem muss entgegengetreten werden. »Trotz alledem!« (Karl Liebknecht)