Eine rassistische Debatte

geschrieben von Oswald Marschall, Verein Deutscher Sinti e.V. Minden

20. Mai 2019

Antwort an Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link

Was der Duisburger Oberbürgermeister gesagt hat, ist Rassismus pur. Er wärmt eine alte Debatte wieder auf, von der wir gedacht hatten, sie sei endlich erledigt. Deutschland hat immer noch ein massives Problem mit Rassismus gegen Sinti und gegen Roma, man kann das auch Antiziganismus nennen.

Die Idee, die Sören Link da streut, dass eine ganze Gruppe von Leuten hierherkommt, nur um auf Kosten der Mehrheitsgesellschaft zu leben, ist absurd und basiert auf jahrhundertealten ‚Zigeuner‘-Stereotypen. Das zeigt sich auch daran, dass der Bürgermeister in seinem Statement von »Sinti und Roma« spricht, obwohl in Rumänien und Bulgarien gar keine Volksgruppe der Sinti lebt. Für ihn geht es aber gar nicht darum, ob das stimmt, was er da erzählt, es geht um populistische Hetze. Deshalb benutzt er die Worte »Sinti und Roma«, meint aber ‚Zigeuner‘ und wirft damit alle in einen Topf: Deutsche Sinti, deutsche Roma, amerikanische Roma oder schwedische Roma, sie alle werden mit dem alten ‚Zigeuner‘-Klischee des Schmarotzers, der von der Arbeit anderer lebt, stigmatisiert und sie alle haben unter diesen Aussagen zu leiden.

Aber auch die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien werden vollkommen zu Unrecht in einen Topf geworfen: Weder sind alle Roma aus Rumänien und Bulgarien arm und ungebildet, vielmehr gibt es bei ihnen genau wie unter deutschen Sinti alle Schichten: Arbeiter, Angestellte und Akademiker. Noch sind alle armen Zuwanderer aus diesen Ländern Roma. Auch andere Bürger aus diesen Ländern sind arm und ziehen nach Deutschland. Aber das Klischee ist viel stärker als die Realität und deshalb nennt der Bürgermeister die Zahl von 19.000 und sagt, das seien »Sinti und Roma«, obwohl die Zahl aus der Statistik für »Bulgaren und Rumänen« ist.

Mir ist es wichtig klarzumachen, dass die ganze Debatte von vorne bis hinten rassistisch und antiziganistisch aufgeladen ist: Warum interessiert es die Leute überhaupt, ob die Menschen, die da zuwandern, Roma sind oder nicht? Das geht sie doch gar nichts an! Es interessiert sie, weil sie dann die alten Stereotype verwenden können, die sie immer wieder auch für uns deutsche Sinti verwendet haben: »arbeitsscheu«, »kriminell«, »dreckig«, die ganze Palette. Dass der Bürgermeister dann sogar von einem »Rattenproblem« spricht, für das die »Sinti und Roma« angeblich verantwortlich sein sollen, zeigt, dass er wirklich gar nichts gelernt hat aus der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Auch damals hat man uns als Ungeziefer bezeichnet und auch so behandelt.

In dieser rassistischen Debatte wird die Realität seit Jahren ignoriert: Die deutsche Wirtschaft, insbesondere das Baugewerbe, die Pflegeverbände und die großen Schlachtungsbetriebe profitieren seit Jahren von billigen Arbeitskräften aus Rumänien und Bulgarien, viele Deutsche beschäftigen Rumänen und Bulgaren auch privat zu Hungerlöhnen als Gärtner, Maler oder Putzkräfte. Die Menschen aus Rumänien und Bulgarien werden also seit Jahren im großen Stil von deutschen Betrieben ausgenutzt, trotzdem wird das Gegenteil behauptet: dass die Menschen kämen, um das Sozialsystem auszunutzen. Das steht sogar im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD von 2014 und schon damals hat der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma massiv dagegen protestiert. Die Bundesregierung, die Parteien und die Mehrheitsgesellschaft scheinen aber selbst nachdem 2012 das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin eröffnet wurde, immer noch nicht bereit zu sein, uns zuzuhören und uns Ernst zu nehmen.

Wenn es tatsächlich Betrugsfälle oder Kriminalität geben sollte, müssen wir die Politik, die Medien und die Mehrheitsgesellschaft immer wieder daran erinnern, dass immer nur der einzelne Mensch für seine Taten verantwortlich gemacht werden kann, nicht eine ganze Gruppe. Ich kann ja auch nicht sagen, dass die Leute vom FC Bayern besonders schlimme Steuerhinterzieher sind, nur weil Uli Hoeneß und James Rodriguez da arbeiten. Wobei es vielleicht ganz gut wäre mal zu schauen, wer den größeren Schaden anrichtet: Die Leute, die da wirklich ein paar Kröten abziehen oder die Wohlhabenden und die Konzerne, die Milliarden an Steuern umgehen oder gar hinterziehen, ohne dass sich wer aufregt.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns von der Debatte nicht spalten lassen. Wer jetzt denkt, die zugewanderten Roma seien Schuld an der Situation, liegt falsch. Den Rassisten ist es schon immer egal gewesen, ob es um Sinti oder um Roma ging und es ist ihnen schon immer egal gewesen, ob wir in Wirklichkeit ehrlich gearbeitet haben oder nicht. Sie hatten schon immer ihr ‚Zigeuner‘-Bild im Kopf, das ihnen den Blick auf die Realität verstellt. Wir als deutsche Sinti können nichts anderes tun, als diesen Rassismus gemeinsam mit den Roma aus anderen Ländern zu bekämpfen.