Mehr als eine Geste

geschrieben von Janka Kluge

2. Juni 2019

Petition zur Erinnerung an homosexuelle Opfer

Jedes Jahr wird am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz im Bundestag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Ein Überlebender oder eine Überlebende der Shoa spricht dann vor dem Plenum. Die Gedenkstunde findet seit 1996 statt. 2008 formulierte Bundestagspräsident Norbert Lammert: »Wir gedenken der Entrechteten, Gequälten und Ermordeten: der europäischen Juden, der Sinti und Roma, der Zeugen Jehovas, der Millionen verschleppten Slawen, der Zwangsarbeiter, der Homosexuellen, der politischen Gefangenen, der Kranken und Behinderten, all derer, die die nationalsozialistische Ideologie zu Feinden erklärt und verfolgt hatte. Wir erinnern: auch an diejenigen, die mutig Widerstand leisteten oder anderen Schutz und Hilfe gewährten.« Er betonte ausdrücklich, dass an alle Opfer erinnert werden soll. Dieser Ansatz ist wichtig, weil die Verbrechen der Nazis nicht nur die europäischen Juden betroffen haben. Sinti und Roma, russische Kriegsgefangene und große Teile der osteuropäischen Bevölkerung fielen ebenso unter das Nazidiktum des »wertlosen Lebens«. Die Formen des Mordens waren unterschiedlich, die dahinterstehende Logik aber identisch.

Der homosexuelle Schriftsteller und politische Aktivist Lutz van Dijk hat vor einigen Monaten mit einer Petition gefordert, dass 2021 an die homosexuellen Opfer erinnert werden soll. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble lehnt das Ansinnen bis jetzt ab.

Wahrscheinlich ist er der Meinung, dass Homosexuelle ja nach der damaligen Rechtsprechung verurteilt wurden. Der § 175, der unter den Nazis verschärft wurde, galt bis 1969. Auch nach der Befreiung vom Faschismus sind tausende Männer wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Sexualität verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden. Erst 1994 wurde der Paragraph ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Damit wurde eine Reform der DDR von 1965 übernommen. Um den Schutz Minderjähriger ist es in diesem Paragraphen nie gegangen, der wird im Strafgesetzbuch an anderer Stelle geregelt.

Auch wenn Schäuble sich schwer tut, gibt es Anzeichen, dass das Leid homosexueller Männer und Frauen endlich auch öffentlich anerkannt wird. Im Landtag von Baden-Württemberg wurde in diesem Jahr zum ersten Mal an homosexuelle Opfer erinnert. Die Vertreter der VVN-BdA im Arbeitskreis des Landtags hatten sich seit Jahren gemeinsam mit Organisationen von Homosexuellen dafür eingesetzt. 50 Jahre nach der Entschärfung des § 175 war ein gut gewählter Zeitpunkt.