Ein »entarteter ›Entarter‹ «?

geschrieben von Reinhold Weismann-Kieser

11. Juli 2019

Emil-Nolde-Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin

Der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin zeigt gegenwärtig eine Ausstellung, die sich mit dem »Nolde-Mythos« der Bundesrepublik der Nachkriegszeit auseinandersetzt und seine eigenen weltanschaulichen und politischen Positionen und die widersprüchliche Rezeption des Expressionismus durch den Faschismus mit seinem Opferstatus als prominentem »Entarteten« konfrontiert.

Schon im Eingangsbereich erfährt der Besucher in einer knappen Aufschrift, wie dieser Mythos kreiert wurde. Dort kann er zunächst lesen, wie ihn der Kunsthistoriker Adolf Behne noch 1947 anlässlich seines 80. Geburtstags beurteilte. Von ihm stammt die Bezeichnung »entarteter ‚Entarter‘«. In den folgenden Jahrzehnten gelang es jedoch, Nolde einen »Opferstatus« zuzuschreiben.

Bis 15. September im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50, Berlin.  Informationen zur Ausstellung unter:  emilnoldeinberlin.de

Bis 15. September im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50, Berlin.
Informationen zur Ausstellung unter:
emilnoldeinberlin.de

Er selbst und die Ada-und-Emil-Nolde-Stiftung taten dies besonders, indem das »Berufsverbot«, also das Verbot der öffentlichen Präsentation und des Verkaufs seiner Werke, das 1941 mit dem Ausschluss aus der Reichskulturkammer verbunden war, zu einem »Malverbot« stilisiert wurde. Hieran knüpft die Geschichte der »Ungemalten Bilder«, der kleinformatigen Aquarelle also, die in dieser Zeit bis 1945 entstanden waren, an. Sie seien insgeheim unter ständiger Angst vor polizeilicher Kontrolle gemalt worden. Literarische Verbreitung fand diese Legende durch Siegfried Lenz 1968 in seinem Roman »Deutschstunde«.

Dass Nolde von Anfang an ein begeisterter Anhänger des Nazi-Faschismus war, wird durch das folgende Zitat von 1933 belegt: »Der Führer ist groß und edel …. Nur ein ganzer Schwarm dunkler Gestalten noch umschwärmt ihn, in einem künstlich erzeugten Kulturnebel. Es hat den Anschein, daß demnächst diese Sonne hier durchbrechen wird, diese Nebel zerstreuend.«

Als Bürger des 1920 an Dänemark gefallenen Teils von Nordschleswig wurde er 1934 Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig (NSAN), später NSDAPN. In zahlreichen Dokumenten bezeichnete er sich später als Parteigenossen und wurde auch als solcher anerkannt. Er war fanatischer Antisemit und denunzierte seinen Malerkollegen Max Pechstein wider besseres Wissen beharrlich als »Juden«. Er bekämpfte den jüdischen Kunsthändler Paul Cassierer und den Maler Max Liebermann und erarbeitete »einen Plan zur territorialen Lösung der ‚Judenfrage‘, die eine Aussiedlung der Juden vorsieht« und den er bei Hitler einreichte. Für seinen »nordischen Expressionismus« sah er also 1933 die Stunde gekommen und fand auch zahlreiche Förderer unter den neuen Machthabern. Dennoch setzte sich die von Hitler bevorzugte Richtung des faschistischen Klassizismus durch, was dann schließlich 1937 in der Einstufung seiner Werke als »entartet« mündete. Diese tiefe Kränkung erschütterte jedoch die Treue zum Faschismus in keiner Weise. Unter Hinweis auf seinen Status als »PG« gelang es auch, einen großen Teil der beschlagnahmten Werke zurück zu erhalten. Aus der Wandersaustellung »Entartete Kunst« wurden seine Bilder wieder entfernt. Er blieb auch nach 1937 finanziell einer der erfolgreichsten Künstler im Reich.

Natürlich stellte das »Berufsverbot« von 1941 eine Zäsur dar, zeitgenössische Berichte über eine polizeiliche Überwachung eines »Malverbots«, die ihn zum Malen seiner Aquarelle aus dieser Zeit im Verborgenen gezwungen hätte, existieren jedoch nicht. Er erfuhr weiterhin die tatkräftige Unterstützung potenter Freunde wie dem Schokoladenfabrikanten Sprengel und wurde nach Bedarf mit Malutensilien versorgt.

Trotz des Berufsverbots von 1941 und »Gerüchten über ‚furchtbar wahre Sachen aus Polen‘« hielten Emil und Ada Nolte an ihrer nationalsozialistischen Überzeugung fest. Der Krieg, dessen Verlauf sie täglich verfolgten, galt ihnen als »Jüdischer Krieg«.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung sind die »ungemalten« kleinformatigen Werke. Dabei wird dokumentiert, dass diese keine außergewöhnliche Periode in Noldes Schaffen darstellen. Schon früher hatte er so in der Abgeschiedenheit gearbeitet, um später dann einzelne Ergebnisse in große Formate umzusetzen. Weiter werden die religiösen Motive gezeigt, die besonders dem Verdikt der »Entartung« anheimfielen und breiten Raum in der Propagandaschau 1937 einnahmen.

Noldes Versuch, dem neuen Geist gerecht zu werden, wird in seinen großformatigen Wikingerfiguren präsentiert. Nicht fehlen darf natürlich auch der »Postkarten-Nolde« mit seinen tosenden Brandungen, bäuerlichen Idyllen und bunten Blüten.

Die Ausstellung – kuratiert durch Bernhard Fulda und Aya Soika – konnte erstmals uneingeschränkt auf das Archiv der Noldestiftung zurückgreifen, das seit 2013 durch den neuen Direktor Christian Ring verfügbar geworden ist. Zuvor hatte Noldes Witwe Jolanthe zusammen mit verschiedenen Stiftungsdirektoren sorgsam darüber gewacht, dass kein Schatten auf das Bild des Meisters falle.

Aber zu sehr hing auch die Bundesrepublik der Nachkriegszeit an Erzählungen wie der des unschuldig Verfolgten in der »Inneren Emigration«. Sehr viele »Mitläufer« konnten sich in dieser Erzählung wiederfinden.