»Volksstücke« mit Anspruch

geschrieben von Ernst Antoni

11. Juli 2019

Museums-Inszenierung zu Ödön von Horváth in München

Schon der Titel der Ausstellung, ein Zitat des Dichters, hat es in sich: »Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur«. So oder ähnlich hätte es bei seinen Bühnen- und Filmauftritten auch Karl Valentin formulieren können, der Münchner »Linksdenker«, wie ihn Kurt Tucholsky einst wegen seiner skurrilen Formulierungen nannte. Die Ausstellung jedoch, die derzeit in den Räumen des Deutschen Theatermuseums in München zu sehen ist, handelt von einem anderen Autor: »Ödön von Horváth und das Theater« heißt sie im Untertitel. Das Titelzitat ist dem Horváth-Stück »Kasimir und Karoline« aus dem Jahr 1932 entnommen.

Begleitbuch: »Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik«, 275 S., 35 Euro

Begleitbuch: »Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie und Politik«, 275 S., 35 Euro

Eines von den drei »Volksstücken« Ödön von Horváths, die der Schau, die im vergangenen Jahr zuerst im Theatermuseum in Wien zu sehen war, auf dem Weg durch die Etagen des Museums am Münchner Hofgarten den inszenatorischen Rahmen geben. Die beiden anderen Stücke heißen »Italienische Nacht« und »Geschichten aus dem Wiener Wald«, beide 1931 entstanden.

Jedem ist ein größerer Raum gewidmet, die Besucherinnen und Besucher bewegen sich in Kulissen mit Biertisch-Ambiente. Oder in jener »stillen Straße im achten Bezirk« Wiens – »ein Bild«, so die erläuternde Tafel zu diesen »Geschichten aus dem Wiener Wald«, »der ökonomischen Verfasstheit des Mittelstands der 1930er Jahre, der von Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit gezeichnet ist«.

In all diesen Stationen gibt es per Kopfhörer zusätzliche Informationen zu den Präsentationen, Dokumente in Vitrinen und an Wänden, die zur genaueren Betrachtung und Befassung mit Leben und Werk des ungarisch-österreichisch-deutschen Schriftstellers Ödön von Hórvath einladen. Mit seinen literarischen und politischen Orientierungen, mit seiner Migrationsgeschichte und seinem tragischen frühen Tod, als ihn mitten in Paris von oben ein tödlicher Ast trifft.

»Ödön von Horváths überraschender Tod durch einen herabstürzenden Ast auf den Pariser Champs Elysées am 1. Juli 1938 wurde, trotz aller Trauer, bereits von seinen engen Freunden als ebenso merkwürdiges wie passendes Ende empfunden.«, heißt es dazu auf der Informationstafel. »Literatur- und Kunstschaffende späterer Generationen waren von diesem morbiden Ereignis immer wieder fasziniert. Zwei besonders hervorhebenswerte Beispiele für das Fortwirken von Horváths Tod finden sich beim Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader und beim Schriftsteller Peter Turrini. In seinem Programm Privat, bis heute eines der erfolgreichsten Kabarettprogramme Österreichs, begegnet Josef Hader genau dem Ast, der Horváth 1938 erschlagen hat. Der Ast ist von Selbstvorwürfen geplagt und wartet seit jenem schicksalhaften Tag auf einen schlechten Dramatiker, den er erschlagen kann, um seine Schuld an der Literatur zu sühnen.« Peter Turrini wiederum schildert in »Horváths Gebeine« seltsame Ereignisse um dessen zweites »Begräbnis« in Wien 1988 zu Horváths 50. Todestag. Ein Filmauszug von Haders Auftritt und eine Audio-Aufzeichnung der Turrini-Lesung ergänzen die Exponate.

Die Ausstellungs-Wege, auch Treppenhäuser und Toi-letten-Eingänge, werden zu Präsentationen genutzt. Zu einer kleinen Ausstellung von Caspar Nehers Entwürfen der Bühnenbilder zu »Kasimir und Karoline« von 1932, zu Zitatsammlungen und Bühnenanweisungen des Autors. Auszüge gibt es von drei Verfilmungen der »Geschichten aus dem Wiener Wald« mit Hauptdarstellern wie Hans Moser, Rudolf Vogel und Helmut Qualtinger zu sehen.

Viele der dokumentierten politisch-historischen Zusammenhänge und Horváths Stellung dazu dürften Informierteren bekannt sein. Die »Italienische Nacht« etwa als ein Stück, das auf einer realen Saalschlacht zwischen militanten Nazis und zum Teil nach wie vor Illusionen hegenden Sozialdemokraten in Murnau beruht. Horváth hatte damals als Zeuge vor Gericht gegen die Nazis ausgesagt und musste, als »Kommunist« und »Salonbolschewist« tituliert, aus seinem damaligen Wohnort flüchten.

Dokumentiert ist jedoch auch unter dem Titel »Ich habe keinerlei Proteste unterzeichnet – Horváth und der Nationalsozialismus« sein letztlich erfolgloser »Anpassungs«-Versuch. Mit »Proteste« ist eine antifaschistische Resolution von Schriftstellern an den PEN-Club gemeint, für deren Unterzeichnung ihn sein Freund und bereits emigrierter Kollege Oskar Maria Graf geworben hatte. Horvàth hatte kurz darauf brieflich seine Unterschrift wieder zurückgezogen. Er sei ja ungarischer Staatsangehöriger und kein Österreicher oder Deutscher.

»Tatsächlich«, heißt es auf der Begleittafel, »vermeidet Horváth in dieser Zeit penibel politische Themen und schlägt im Herbst 1933 auch eine ihm angebotene Mitarbeit an der von Klaus Mann mitbegründeten Emigranten-Zeitschrift ‚Die Sammlung‘ aus. Im Frühsommer 1934 schließlich kehrt er, geschützt durch seine ungarische Staatsbürgerschaft, in das Deutsche Reich zurück. (…) Bis Mitte 1935 arbeitete Horváth nun als Drehbuchautor für Unterhaltungsfilme in Berlin, was ihn zunehmend frustrierte. (…) Erst nachdem er Mitte 1935 das Deutsche Reich endgültig verlassen hatte, fand Horváth schließlich zu einer konsequent antifaschistischen Haltung, die in den beiden Romanen ‚Jugend ohne Gott‘ und ‚Ein Kind unserer Zeit‘ (1938) gipfelte.«

Die Ausstellung ist bis zum 17. November 2019 im Deutschen Theatermuseum München, Galeriestraße 4a zu sehen.