Der vorpolitische Raum
14. Juli 2019
Ob »Bella Ciao« als Sommerhit des Jahres das Denken verändert?
Die Hymne der italienischen PartisanInnen im Zweiten Weltkrieg wurde letztes Jahr zum offiziellen Sommerhit ernannt. Die Cover-Version des französischen DJs Florent Hugel erfülle laut dem Marktforschungsinstitut GfK Entertainment alle Kriterien: eine eingängige Melodie, Urlaubsstimmung, er läuft in allen Clubs und ist weit oben in den Charts. Obwohl die Anzahl der Neuinterpretationen des Liedes seit Jahrzehnten nicht abnimmt, ist die Adelung zum Chartstürmer und »Sommerhit« dennoch eine genauere Betrachtung wert.
Gewünschte Assoziationen
Der italienischen Bevölkerung ist der Song und dessen Geschichte geläufig. Er ist eine kulturelle Metapher gegen den Faschismus und symbolisiert die Einigkeit unter AntifaschistInnen. Zahlreiche Versionen in anderen Sprachen haben auch andernorts zum besseren Verständnis beigetragen, obgleich der italienische Refrain gern und laut mitgejohlt werden kann, auch ohne Kenntnis der schicksalshaften Entscheidung des Protagonisten.
Dem geht es nämlich um die Gewissensfrage, ob er sich den PartisanInnen gegen den Faschismus anschließen soll, um für die Freiheit zu sterben, oder bei seiner Geliebten bleiben soll. Das kurzlebige persönliche Glück verliert gegen die Einsicht in die Notwendigkeit, sich an dem riskanten Kampf zu beteiligen um Glück für alle herzustellen. Wer in dem Kampf fällt, stirbt wenigstens für eine gute Sache. Dieses romantische Motiv, über sich selbst und vor allem für andere hinauszuwachsen, ist auch aus anderen Zusammenhängen bekannt. »Bella Ciao« weckt diese Assoziationen und ist deshalb so populär unter politisch denkenden Menschen.
Verkürzungen
Der Remix von DJ Hugel wurde weltweit durch die spanische Netflix-Serie »Haus des Geldes« bekannt. Dort wird das Lied bei einem Banküberfall in Madrid als Motivationseinlage der Gangster gesungen. Das normalerweise sechs-strophige Lied kommt in seiner basslastigen Interpretation über ganze sechs Zeilen nicht hinaus: »Eines Morgens stand ich auf / Und ich habe den Eindringling gefunden / O Partisan, bring mich weg / Ich habe Lust zu sterben / O Schöne, Tschau / Du musst mich begraben«. Entscheidende Zeilen, wie der Wunsch nach Freiheit für alle, fehlen. Der so zurechtgestutzte Song kann seine Funktion wohl nicht erfüllen. Er ruft zu Heldentaten nur für sich selbst und nicht für andere auf.
Hegemonie im vorpolitischen Raum
Andererseits funktionieren Metaphern und Symbole auch nicht nur textlich. Allein durch die bekannte Melodie des Liedes werden positive Assoziationen mit dem Kampf der PartisanInnen geweckt, sofern dieser in der eigenen Lebenswelt überhaupt bekannt ist. Daran kann bei den europäischen ClubgängerInnen allerdings gezweifelt werden. Welchen Stellenwert hat denn das Wissen um den Kampf gegen den Faschismus in Europa noch?
Der italienische Marxist Antonio Gramsci hat sich Anfang der 30iger Jahre mit dem Blick auf den italienischen Faschismus mit ähnlichen Fragen auseinandergesetzt. Er hat hervorgehoben wie wichtig die linke Hegemonie im »vorpolitischen Raum« (außerhalb politischer Institutionen, Parteien usw.) ist, um den Faschismus in der ganzen gesellschaftlichen Breite zu begegnen. Gramsci ging es darum die »theoretische und ideologische Front zu bewahren, zu verteidigen und zu entfalten«, also eine Art Kulturkampf gegen Rechts zu führen und sich dafür den wichtigen Foren der Öffentlichkeit (Medien, Bildung, Straßennamen usw.) zu bedienen. Explizit geht es um die nicht-militärische Eroberung kultureller Sphären, die eine faschistische Herrschaft untergraben, verunmöglichen und diese nicht mittels Zwang, sondern durch einen neuhergestellten moralischen Konsens, überwindet.
Trotz der Einschränkungen ist nicht schwer den Sommerhit »Bella Ciao« als einen solchen Versuch, antifaschistische Lebenswelten einem größeren Publikum zu vermitteln, zu lesen. Geben wir solchen Versuchen eine Chance.