Freiheit verschwand allmählich

geschrieben von Janka Kluge

22. September 2019

Rechte Politikstrategien nicht nur in der Türkei

Die türkische Journalistin und Schriftstellerin Ece Temelkuran gehört zu den wichtigen Autoren ihres Landes. Ihre Artikel und Stellungnahmen werden auf der ganzen Welt wahrgenommen. Auf ihren Reisen hat sie die politische Entwicklung in vielen Ländern kennengelernt und Gemeinsamkeiten mit der Türkei entdeckt. In ihrem jetzt auf Deutsch erschienen Buch »Wenn Dein Land nicht mehr Dein Land ist« beschreibt sie diese Parallelen.

»In Ländern von der Türkei bis zu den USA, darunter hoch entwickelte Staaten mit scheinbar starken demokratischen Institutionen wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland, scharen sich Menschen hinter dreisten, skrupellosen Populisten, um sich gemeinsam zu bewegen und die von ihnen als Estab-lishment bezeichnete Wirklichkeit, also das Spiel selbst, anzugreifen, das sie als dysfunktional und korrupt empfinden.«

Ece Temelkuran »Wenn Dein Land nicht mehr Dein Land ist« Hoffmann und Campe Verlag, 2019, 22 EUR

Ece Temelkuran »Wenn Dein Land nicht mehr Dein Land ist« Hoffmann und Campe Verlag, 2019, 22 EUR

Als Grundlage dieser Entwicklung sieht sie einen Trend, sich selbst nicht mehr als Individuum zu sehen, sondern als Teil von etwas vermeintlich Größerem, einem Volk. In ihrer Untersuchung stellt sie fest, dass die Machteroberung rechter Politiker immer nach ähnlichen Mustern abgelaufen ist. Am Anfang stand oft, dass sie Respekt eingefordert haben. »Doch wenn Respekt zur politischen Ware wird hat das weitreichende Folgen. Sobald das Volk eine politische Bewegung bildet, lautet die anfängliche – theoretische – Frage: Zählen denn unsere Überzeugungen, unsere Lebensweise, unsere Entscheidungen gar nicht?´ Da die Antwort keineswegs nein lauten darf, können die Anführer der Bewegung als respektable, gleichwertige Teilnehmer am politischen Diskurs in die Öffentlichkeit und auf die politische Bühne treten.«

Dieses Vorgehen kann auch in Deutschland beobachtet werden. Die AfD hat in der Vergangenheit immer wieder beklagt, dass ihren Politikern nicht der genügende Respekt entgegengebracht wird. Sie versuchen, sich als ganz normale Politiker darzustellen, die nur sagen, was eine angebliche große schweigende Mehrheit denkt. Mit einem »Das muss man noch sagen dürfen« fordern sie ein Verhalten ein, dass Ece Temelkuran als nächsten Schritt bezeichnet. Aus der Forderung nach Respekt entwickelt die rechten Strategen die nach Toleranz. Rassismus und Nationalismus muss so vermeintlich toleriert werden. Antifaschismus und Antirassismus gelten jetzt als intolerant. Um ihre Verteilungspolitik für die Reichen zu tarnen betonen sie als nächstes, dass ihnen der »soziale Frieden« wichtig ist. Der »soziale Frieden« wird angeblich von Gruppen gefährdet, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. In dieser Phase legen die rechten Hetzer ihren Schwerpunkt auf den Kampf gegen Gewerkschaften und alle, die soziale Gerechtigkeit jenseits völkischer Definitionen fordern. In Deutschland haben wir erste Anzeichen für diese Entwicklung in rechten Gruppen, wie dem »Zentrum Automobil«, die versuchen, die IG Metall auf betrieblicher Ebene zu bekämpfen. Unterstützt werden sie dabei von dem rechten Verschwörungsmagazin Compact und der Organisation 1 Prozent. Beide flankieren die Politik der AfD mit Testballons, bei denen sie testen, wie weit die Partei gehen kann.

Haben die rechten Parteien und Politiker erst die Deutungshoheit über Diskurse und Begriffe bekommen, dreht sich die Entwicklung. Sie verweigern die noch vor kurzem für sich selbst eingeforderte Toleranz allen, die andere Positionen vertreten. Respekt für andere ist für sie absolut unnötig. Immer wieder betont Ece Temelkuran, dass die Freiheit in der Türkei nicht mit einem Schlag verschwunden ist, sondern, dass es viele kleine Schritte waren, die sie eingeschränkt haben.

»Wer sich die eigene Vernunft und Moral zu bewahren versucht, indem er sich mit den Unterdrückten solidarisiert, muss nicht nur die harten Umstände mit ihnen teilen, sondern auch die Scham über den Spott und das darauf folgende Verstummen.«

Zu diesem Schweigen hat auch die Häme geführt, die immer und immer wieder über sie ausgeschüttet wurde. Diese Häme war für sie schwerer zu ertragen, als die vielen Morddrohungen gegen sie. Mit dem Text hat sie gegen die aufkommende Verzweiflung angeschrieben. »Würden wir Freude neu definieren, könnten wir erkennen, dass kollektives Handeln nicht nur die Welt besser macht, sondern auch den Einzelnen erfüllt.«

Das Buch der seit Ende 2016 im Exil lebenden Ece Temelkuran analysiert Vorgehensweisen rechter Politiker und Parteien, trotzdem hinterlässt es einen nicht mutlos. Sie macht deutlich, dass egal in welchem Stadium wir sind, es immer noch möglich ist, den Kampf gegen rechts zu führen. Allein dafür verdient sie viele Leser und Leserinnen.