Der Reichstagsbrand und die SA

25. September 2019

Unterschlagenes Dokument aufgetaucht

Obwohl nur wenige Zeitungen über den Fund berichtet haben, stellt er eine Sensation dar. Im Nachlass des Verfassungsschutzbeamten Fritz Tobias befand sich die Abschrift einer eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen SA-Mitglieds Hans-Martin Lennings zu den Vorgängen beim Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933. In der bereits 1955 abgegebenen Erklärung gab er an, dass er am Abend des 27. Februar den Befehl bekommen habe, einen Mann in einem SA-Lazarett abzuholen und zum Reichstag zu fahren. Dort hat er ihn dann zwischen 21 und 22 Uhr einem wartenden SA-Mann in Zivilkleidung übergeben. Die Angabe der Uhrzeit ist wichtig, weil bereits kurz nach 21 Uhr der Brand gemeldet wurde. Außerdem sagte er in der Erklärung, dass zu dem Zeitpunkt »ein eigenartiger Brandgeruch herrschte, und dass auch schwache Brandschwaden durch die Zimmer hindurchzogen«. Am nächsten Tag hat er dann durch Zeitungsbilder den Mann wieder erkannt. Es war der Holländer Marinus van der Lübbe. Göring und Hitler waren an dem Abend noch am brennenden Reichstag erschienen und hatten verkündet, dass die Kommunisten den Brand gelegt hätten und einen Putsch vorbereiten. Außerdem verkündete Hitler, dass ab sofort gegenüber den Kommunisten keine Gnade mehr gelte.

Marinus van der Lubbe wurde der Öffentlichkeit als Brandstifter vorgeführt

Marinus van der Lubbe wurde der Öffentlichkeit als Brandstifter vorgeführt

Noch in der Nacht wurden in ganz Deutschland mehr als 10 000 Kommunisten, Mitglieder der SPD und Gewerkschafter verhaftet. Allein in Berlin sind über 1500 Menschen von der SA verschleppt worden. Bereits am nächsten Tag erließ Reichspräsident Hindenburg die Notverordnung »zum Schutz von Volk und Staat«, die ihm von Hitler vorgelegt worden war. Mit ihr wurden alle Grundrechte »bis auf weiteres« aufgehoben. Göring sagte bei einer Vernehmung im Nürnberger Prozess am 13. Oktober 1945: »Es trifft zu, dass Listen für die Verhaftung von Kommunisten ganz unabhängig von dem Reichstagsbrand bereits vorbereitet waren. Dazu war nicht der Reichstagbrand notwendig. Die Verhaftungen wären sowieso durchgeführt worden. (…) Die Vernichtung der kommunistischen Partei sollte auf alle Fälle durchgeführt werden.«

Am 9. März 1933 wurde in Berlin Georgi Dimitroff zusammen mit Blagoj Popoti und Vasil Taneff, zwei weiteren bulgarischen Kommunisten, verhaftet. Dimitroff war zu dem Zeitpunkt der Leiter des Westeuropäischen Büros der Kommunistischen Internationale. Die drei wurden zusammen mit Ernst Torgler, dem Vorsitzenden der kommunistischen Reichstagsfraktion, und Marinus van der Lubbe im sogenannten Reichstagsbrandprozess angeklagt. Von Anfang an war das Ziel des Prozesses, die Behauptung zu belegen, dass die KPD einen Umsturz vorbereitet hätte. Durch die geschickte und mutige Prozessführung von Dimitroff wurde nur van der Lubbe zum Tode verurteilt. Die anderen drei Angeklagten mussten freigesprochen werden. Um die Lügen der Nazis zu entlarven, suchten Antifaschisten im Exil Dokumente zum Brand zusammen und veröffentlichten sie in einem Braunbuch. Dass Buch erschien noch vor der Urteilsverkündung in mehreren Ländern.

Mit der eidesstattlichen Erklärung ist zum ersten Mal ein Dokument aufgetaucht, in dem ein beteiligter SA Mann sein Schweigen gebrochen hat. Am 8. November 1955 gab er bei dem Notar Paul Siegel in Hannover die Erklärung ab, sie wurde anschließend beim Amtsgericht Hannover hinterlegt. Lennings, der sich mittlerweile von der Naziideologie gelöst hatte und gläubiger Katholik geworden war, wollte mit seiner Aussage einen neuen Prozess zum Reichstagsbrand unterstützen. Der Bruder von van der Lubbe hat Mitte der fünfziger Jahre einen Revisionsprozess angestrebt, in dem die Unschuld seines Bruders belegt werden sollte.

Walter Zirpins

Walter Zirpins

Interessant ist auch, wie die Erklärung entdeckt wurde: Um die Vergangenheit des niedersächsischen Landeskriminalamts aufzuarbeiten hat ein Historiker auch den Nachlass des ehemaligen Mitarbeiters des Verfassungsschutzes, Fritz Tobias, durchgearbeitet. Neben seiner Arbeit beim VS betätigte sich Tobias als Historiker. Er hat ein Buch über den Reichstagsbrand veröffentlicht , in dem er van der Lubbe als Einzeltäter beschrieb. Außerdem war er an der Konzeption einer Artikelserie zum Reichstagsbrand im »Spiegel« beteiligt, die ebenfalls die These von der Alleinschuld vertrat. Obwohl unklar ist, ab wann Tobias von der eidesstattlichen Erklärung wusste und seit wann die Abschrift in seinem Besitz war, stellt sich auch die Frage, warum er sie nicht öffentlich gemacht hat. In Westdeutschland waren Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre die Fronten klar. Im Zeichen des Kalten Krieges war 1956 die KPD verboten wurden. Gleichzeitig hatten viele ehemalige Funktionäre aus der Nazizeit wieder Karriere gemacht. Einer von ihnen war Walter Zirpins, der Kriminalbeamte, der van der Lubbe nach dessen Verhaftung verhört und das Protokoll unterschrieben hatte. Nach 1945 war Zirpins wieder bei der Polizei, seit 1951 sogar Leiter des Landeskriminalpolizeiamtes in Hannover.     Janka Kluge

Dem Historiker Stephan Linck zufolge war Walter Zirpins (Foto rechts) Teil eines Netzwerkes von alten -Gestapo und Polizeibeamten, die sich gegenseitig Posten zuschoben und »die Bedeutung kriminalpolizeilicher Tätigkeit im NS Staat« maßgeblich beeinflusst haben.