»Eine rigorose Grundstimmung«

geschrieben von Peter C. Walther

28. September 2019

Alarmierende Vorgänge in Polizeikreisen – nicht nur in Hessen

Als sich im Sommer 2018 in Frankfurt am Main Staatsanwaltschaft und Polizei endlich entschlossen hatten zu ermitteln, wer die Verfasser und Vertreiber von Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz sein könnten, mussten sie alsbald feststellen, dass Daten und Adresse der betroffenen Anwältin aus einem Polizeicomputer im Frankfurter Polizeirevier 1 abgerufen worden waren. Die mit der entsprechenden Adresse versehenen Drohschreiben waren mit »NSU 2.0« unterzeichnet; in ihnen wurde der Anwältin unter anderem angedroht, ihre kleine Tochter zu »schlachten«.

Seda Basay-Yildiz gehörte zu den Nebenklage-Anwälten im Münchner NSU-Prozess, wo sie die Interessen des ermordeten hessischen Blumenhändlers Enver Simsek und dessen Familie vertrat. Ebenso engagiert sie sich als Anwältin u.a. für Betroffene, die von Abschiebungen bedroht sind.

Bei den Ermittlungen, die zu dem Frankfurter Polizeicomputer führten, kam außerdem ans Licht, dass mehrere Polizeiangehörige, die in diesem Frankfurter Polizeirevier tätig waren, einer Whatsapp-Gruppe angehören, die Texte und Bilder rassistischen und rechtsextremistischen Inhalts untereinander austauschten. Darunter befanden sich Hakenkreuze, Witze über Juden und Behinderte. Auf einem der Bilder ist Adolf Hitler zu sehen, der vor einem rauchenden Schornstein sitzt; darunter steht als Bildtext: »Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude«.

Als dies alles bekannt wurde, war der hessische Polizeiskandal ans Tageslicht gekommen. Bis dahin hatte es allerdings ziemlich lange gedauert. Solange wurde bei den ermittelnden Behörden und insbesondere auf Seiten des zuständigen hessischen Innenministeriums Verschleppen und absolutes Verschweigen praktiziert, ebenso wie in der Kollegenschaft das Dulden und Verschweigen.

Nicht zuletzt kam erst durch journalistische Recherchen nach und nach heraus, dass nicht nur in dem Frankfurter Polizeirevier eine Gruppe von neonazistisch eingestellten Polizisten aktiv war, sondern dass auch in anderen Bereichen der hessischen Polizei, darunter in den Präsidiumsbereichen Wiesbaden, Offenbach und Fulda, ähnliche Dinge vor sich gingen.

Im März 2019 wurde schließlich bekannt, dass sich der Verdacht rechtsextremistischer Umtriebe gegen insgesamt 38 hessische Polizeiangehörige richtete. Im Zuge der Ermittlungen wurden mehrere Dienststellen und Wohnungen durchsucht. Um welche konkreten Delikte es geht, wird allerdings nach wie vor nicht öffentlich gemacht.

Bekannt wurde es allein im Fall der »Flaggenhissung« vor dem Polizeirevier im hessischen Schlüchtern. Dort war die Tat nicht zu verbergen. Die beteiligten Polizisten hatten am Holocaust-Gedenktag die Deutschlandfahne und die Hessenfahne in Reichsbürger-Manie verkehrt herum aufgehängt. In rechtsextremen Kreisen gilt das als Symbol der Verachtung.

Wiederum kennzeichnend für den Umgang mit solchen Fällen ist, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Beamten von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main bald eingestellt wurde, weil die Absicht der Verunglimpfung nicht nachzuweisen und somit nicht erfüllt gewesen sei. Das Ganze wurde eben als vermutliches Versehen betrachtet….

In allen anderen Fällen laufen die Ermittlungen, zum Teil nunmehr schon seit über einem Jahr, noch immer (Stand Mitte August 2019) ohne bekanntes Ergebnis.

Ähnliche Vorgänge in anderen Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, weisen darauf hin, dass Rechtsextremismus und Rassismus im Polizeibereich nicht auf Hessen beschränkt und deshalb auch nicht als »Einzelfall« zu bewerten sind.

Ebenso wenig sind Verbindungen zum NSU – nicht nur wegen des NSU-Kürzels bei den Drohbriefen an die Frankfurter Anwältin – zu übersehen.

Wie gefährlich die Mitwirkung von Polizisten ist, verdeutlich die Feststellung, dass die 20.000 Schuss Munition, die in Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit entsprechenden Ermittlungen entdeckt wurden, von Polizisten des Sondereinsatzkommandos des Landeskriminalamtes aus Polizeibeständen beschafft worden waren.

Und wie dreist sich die betreffenden Täter verhalten und sich offenbar sehr sicher fühlen, veranschaulicht der Umstand, dass auch nach Aufnahme der Ermittlungen weiterhin Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin geschickt werden, in denen sogar auf die Ermittlungen und auf die Suche nach den Tätern fast höhnisch Bezug genommen wird.

»Immer mehr Polizisten« wagten sich »aus der Deckung mit ihren rigiden Einstellungen« und würden »lauter werden«, urteilt Rafael Behr, Wissenschaftler an der Polizeiakademie in Hamburg. Es gebe zunehmend »eine rigorosere Grundstimmung in der Polizei«.

Diese Einschätzung und die bekannt gewordenen Vorgänge sind mehr als alarmierend. Sie unterstreichen die Dringlichkeit,   wirksam dagegen vorzugehen. Diese Aufforderung richtet sich in erster Linie an die Ermittlungsbehörden, an die Justiz und vor allem an die politisch Verantwortlichen. Weiteres Verharmlosen und Verschleppen sind nicht hinnehmbar.

Bei Redaktionsschluss wurde durch eine Meldung des Hessischen Rundfunks ein weiterer Skandal aus der hessischen Polizei bekannt: Ein Dienstgruppenleiter der Polizei in Mühlheim am Main, der auch in der Ausbildung von Polizeianwärtern tätig ist, hat in einer internen WhatsApp-Chatgruppe mehrere neonazistische und rassistische Bilder gepostet.