Raus aus der Nische
4. November 2019
Antifaschistische Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse
Die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt/M. waren und sind immer auch Indikatoren für die geistige Lage in unserem Land. Während in Leipzig der unmittelbare Kontakt zu den Leserinnen und Lesern mit mehreren tausend Veranstaltungen und Lesungen im Mittelpunkt steht, ist Frankfurt eher der Ort für die Präsentation der Neuerscheinungen und Tendenzen in der Branche. Dabei fällt auf, dass der Hype um E-Books und BoD (Books on demand) scheinbar etwas abgenommen hat. Das traditionell in einem Groß- oder Nischenverlag publizierte Buch hat weiterhin Konjunktur und – laut Aussage des Börsenvereins des deutschen Buchhandels – seine Zukunft. Das bestätigt auch der diesjährige Rundgang über die Frankfurter Messe.
Politische Themen waren in den bürgerlichen Großverlagen eher randständig vertreten, wenn man von einzelnen Ausnahmen, wie Deniz Yücels »Agentterrorist«, absieht. Interessant ist aber, dass in vielen belletristischen Programmen in diesem Jahr Romane und Erzählungen zu finden sind, die Migrationserfahrungen in familiärer oder gesellschaftlicher Perspektive verarbeiten. Den Deutschen Buchpreis erhielt der bosnisch-stämmige Schriftsteller Saša Stanišič, der das Thema Migration unter dem Titel »Heimkehr« verarbeitete. Diese Entscheidung wurde in vielen Feuilletons nicht nur als Anerkennung für Schriftsteller mit Migrationshintergrund kommentiert, sondern mit Begeisterung auch als Retourkutsche gegen das schwedische Nobelkomitee bewertet, das den Literaturnobelpreis 2018 nachträglich an Peter Handke vergeben hatte. Statt mit Zufriedenheit darauf zu reagieren, dass erstmals seit vielen Jahren wieder ein deutschsprachiger Autor die Auszeichnung erhalten hat, verzeiht man Handke bis heute seine klare Kritik am Jugoslawien-Krieg und seine Unterstützung der rechtmäßigen Regierung von Milosevic nicht. Die »freundlichste« Umschreibung lautete noch »Apologet serbischer Kriegsverbrechen« (Die Zeit).
Interessanterweise waren solche Denunziationen vom österreichischen Buchhandel, der ebenfalls Handke würdigte, nicht zu vernehmen. Apropos Österreich: Am Gemeinschaftsstand fanden sich zwei eindrucksvolle antifaschistische Publikationen, ein biographisches Werk zu Rosa Jochmann, der wohl bekanntesten österreichischen Ravensbrück-Überlebenden, sowie eine Dokumentation zum 70jährigen Jubiläum des Bundes sozialdemokratischer Freiheitskämpfer.
Auch bei deutschen Verlagshäusern haben Veröffentlichungen zu antifaschistischen Themen durchaus ihren Platz, nicht nur bei profilierten Kleinverlagen, die diese Themen schon seit vielen Jahren bearbeiten, wie »PapyRossa« aus Köln. In verschiedenen Formen wurden die Themen der extremen Rechten, der zunehmende Rassismus und Antisemitismus, der Aufstieg der AfD oder extrem rechte Entwicklungen in Europa, publizistisch bearbeitet. Vielen dieser Bände merkt man jedoch an, dass sie als journalistische Reaktion auf ein »Konjunktur-Thema« entstanden sind, weniger als längerfristige Beschäftigung mit der Entwicklung. Eine Ausnahme bildet dabei der Band »Angriff auf Europa«, der zwar ebenfalls ein journalistischer »Schnellschuss« war, aber getragen wird von einem Redaktionsnetzwerk »Europe’s Far Right« aus sechs Ländern. Die Autorinnen und Autoren verfolgen schon seit Jahren die Entwicklung und übernahmen zusätzliche Informationen von antifaschistischen Recherchegruppen aus den jeweiligen Ländern.
Auch historische antifaschistische Themen finden in vielfältiger Form den Weg auf den Buchmarkt. Auffällig sind die zahlreichen regionalen Dokumentationen über vergessene Lagerkomplexe, die NS-Zeit in einem Ort, bzw. einer Region, über Persönlichkeiten, die sich gegen den faschistischen Mainstream stellten und weitere Themen. Was früher als »graue Literatur« durch Geschichtswerkstätten oder lokale Initiativen publiziert werden musste, hat jetzt tatsächlich auch seine Anerkennung im kommerziellen Verlagswesen. Sicherlich werden das keine Bestseller, aber es sind auch keine Nischenprodukte mehr.
Wie in den vergangenen Jahren hatte der Börsenverein einigen zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechts, z.B. der Amadeo-Antonio-Stiftung, dem Anne-Frank-Bildungswerk oder dem Projekt »Verbrannte Orte« die Gelegenheit zu einer kostenfreien Präsentation in den Ausstellungshallen gegeben. Im letztgenannten Projekt erfasst der Fotograf Jan Schenck fotografisch alle ihm bekannten Orte der Bücherverbrennung. Dabei nimmt er nicht nur die gut 20 Plätze in den Universitätsstädten in den Blick, die bereits am 10. Mai 1933 zum Ort geistiger Vernichtung wurden, sondern er folgt auch den Spuren der weiteren Verbrennungen, die bis in den Juni 1933 hinein stattfanden. Seine Ergebnisse werden in einen Online-Atlas sukzessive erweitert eingestellt. Sein Anliegen beschreibt er folgendermaßen: »Ich wollte diese Orte dokumentieren und wissen, wie es heute dort aussieht. Für mich stelle sich die Frage: Betrachten wir die Plätze anders, wenn wir um deren Geschichte wissen?« Damit möchte er die Betrachter zu einer individuellen Spurensuche animieren.
Und was war mit Verlagen der extremen Rechten? Auch sie waren in diesem Jahr wieder vor Ort, aber deutlich eingeschränkter und nicht so präsent. Durch die Standverteilung der Frankfurter Messe befanden sie sich an einem so abseits gelegenen Platz, dass selbst der Autor Schwierigkeiten hatte, sie zu finden. Andere Verlage hatten gegenüber der Messeleitung Druck gemacht, sich nicht im Umfeld dieser Aussteller präsentieren zu müssen.
Dem Atlas und dem Projekt kann man unter www.verbrannte-ort.de folgen.