Faschofeminismus
8. November 2019
Über Anti-Feminismus und Gewalt-Ethnisierung
Jedes Jahr im September treten im Regierungsviertel Berlins christliche AbtreibungsgegnerInnen mit einem »Marsch für das Leben« auf. Ihr vordergründiges Anliegen ist das generelle Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Begründet wird die Forderung einerseits mit der biblischen Schöpfungsgeschichte; aber auch mit einem vormodernen Wertekanon, der auf genügsamen Frauen und der Ignoranz gegenüber gesellschaftlich produzierter Ungleichheit basiert. Die selbsternannten LebensschützerInnen priorisieren dabei die befruchtete Eizelle gegenüber den tatsächlich lebenden Frauen, deren Gesundheit beispielsweise bei illegalen Abtreibungen auf dem Spiel steht. Entsprechend groß ist jedes Jahr die feministische Mobilisierung gegen diesen Marsch und für »reproduktive Rechte«.
Dieser jährliche Auftritt der »Lebensschutz-Bewegung« ist nur ein Schlaglicht auf den sich modernisierenden Anti-Feminismus. Zu dessen Erscheinungsformen und Strategien ist im Sommer ein Sammelband des Autor*innenkollektiv »Feministische Intervention« (AK Fe.In) erschienen. Der AK Fe.In besteht aus Mitgliedern der österreichischen »Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit« (FIPU) und des Berliner Antifaschistischen Pressearchivs (Apabiz). Entsprechend bunt gemischt sind die gut recherchierten und anschaulichen Beiträge. Auf 200 Seiten finden sich in 18 Abschnitten viele kurzweilig zu lesende Analysen von einzelnen Puzzleteilen des Anti-Feminismus heutiger Prägung.
Deutungshoheiten und Anschlussfähigkeit
Die Beiträge werden dabei in drei Themen geordnet. Zum einen die theoretischen Grundlagen für die propagierte Geschlechterungleichheit, die sich zumeist im Kampf um Begriffe wie »Gender« und »political correctness« äußert und die Umdeutung patriarchaler Herrschaft als »Freiheitskampf unterdrückter Männer« (beispielsweise in der »Väterbewegung«) oder als »Meinungs- und Religionsfreiheit« zum Ziel hat. In diesem Teil werden beispielhaft die Folgen der Männerrechts-Propaganda in einer neuartigen Verschleierung von Gewalt in Familie und Beziehung, Mobilisierung gegen Frauenhäuser bis hin zu Amok-Läufen aufgezeigt. Unter anderem werden prägnant die anti-feministischen Bestandteile der überwiegend als islamfeindlich bekannten Morde des Norwegers Andreas Breivik 2011, sowie die Angriffe auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) 2019, analysiert.
Das zweite große Themenfeld des Buches sind die Bemühungen von rechts, Gewalt gegen Frauen auf die ethnische Herkunft der Täter zurückzuführen und gesellschaftlichen Ressentiments (Stichwort »importierter Sexismus«) Vorschub zu leisten. Anhand der gesellschaftlichen Debatte zur Silvesternacht in Köln (2015) und der Beziehungstat von Kandel (2017) werden die rassistischen Motive der Frauenrechts-Bewegung aus dem extrem rechten Spektrum aufgedeckt und gleichzeitig linke Argumentationsschwächen gegenüber solchen Mobilisierungen hinterfragt.
Dass daran wenig neu ist, wird im dritten Themenfeld zu den Akteurinnen rechter Frauenbewegung dargestellt. Wie sieht Emanzipation von rechts bzw. von Frauen in der rechten Szene aus? Welche Probleme hat die Wissenschaft, diesen »Fascho-feminismus« seit den 80er-Jahren zu interpretieren? Das Themengebiet bekommt deutlich weniger Raum in dem Buch, als die anderen, bietet aber vielen LeserInnen einen bisher wohl unbekannten Blick in diesen Teil der extremen Rechten.
Rüstzeug für wiederkehrende Debatten
Das Buch kann gut als Nachschlagewerk für vergangene aber sicher wiederkehrende Debatten und auch als Handreichung für Argumentationstrainings gegen rechten Feminismus und Anti-Feminismus von rechts genutzt werden. In einer Neuauflage wären ein Stichwortverzeichnis oder Glossar um Namen, Gruppierungen und Fachbegriffe (mit denen nicht gerade sparsam umgegangen wird) nachschlagen zu können, wünschenswert.
Zum Weiterlesen: »Seenot im Fruchtwasser« Auswertung des »Marsch für das Leben« 2019 vom Apabiz unter https://www.apabiz.de/2019/seenot-im-fruchtwasser/