Der NSU war nicht zu dritt

geschrieben von Janka Kluge

7. Dezember 2019

2. NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen legt Abschlussbericht vor

Bereits zum zweiten Mal gab es in Thüringen einen Untersuchungsausschuss zum NSU, er hat vor kurzem seinen Abschlussbericht vorgelegt. Die Abgeordneten der Linken, SPD und Grünen formulieren darin ihre Sicht auf die Ergebnisse. Die CDU hat einen eigenen, abweichenden Bericht vorgelegt. Thüringen hat eine besondere Beziehung zum Kerntrio des NSU. In Jena waren Mundlos, Böhnhard und Zschäpe aktiv bevor sie abgetauchten. Hier hatten sie sich radikalisiert und ihre ersten Unterstützer gefunden. Der Thüringer Heimatschutz, ein Zusammenschluss neonazistischer Gruppen, bot ihnen organisatorischen Rückhalt.

In Thüringen war es immer wieder zu Kommunikationspannen zwischen einzelnen Behörden gekommen. Besonders zwischen dem Landeskriminalamt Thüringen und dem Bundeskriminalamt gab es Unstimmigkeiten.

Die Kernaussagen

Der Ausschuss bezweifelt, dass die Polizistin Michele Kiesewetter und ihr Kollege Martin Arnold zufällig von den Mördern des NSU ausgesucht worden sind. Damit stellt dieses Gremium eines deutschen Parlaments öffentlich eine These der Bundesanwaltschaft in Frage. Die beiden Polizisten waren im Rahmen einer Aktion zur Verbesserung der Sicherheit am 25. April 2007 in Heilbronn eingesetzt. Sie machten gerade auf der Theresienwiese Pause, als sich zwei Personen von hinten anschlichen, Michele Kiesewetter durch einen Kopfschuss ermordeten und ihren Kollegen lebensgefährlich verletzten. Der Ausschuss kritisiert, dass die zuständigen Polizeibehörden einseitig ermittelten.

Schnell gingen sie von einem Mord durch eine Romagruppe aus, die sich zu der Zeit auf der Theresienwiese aufhielt. Andere Ermittlungsansätze wurden nicht verfolgt, dabei gab es bereits früh auch andere Spuren. Kurz nach dem Mord meldete sich z.B. der Onkel von Michele Kiesewetter beim LKA Baden-Württemberg und sagte aus, dass seine Nichte von Nazis ermordet wurde. Zu diesem Zeitpunkt war er selbst bei der Thüringer Polizei, zeitweise mit Ermittlungen gegen rechte Täter befasst und mit einer Polizistin liiert, die geheime Erkenntnisse an Neonazis weitergegeben hatte.

2014 sagte diese Polizistin vor dem Untersuchungsausschuss in Thüringen aus, dass sie eines Tages zu Hause Besuch von zwei Männern bekommen habe, die ihr »geraten« haben »sich an bestimmte Dinge« im Zusammenhang mit dem Heilbronner Mord nicht zu erinnern. Ob dazu auch gehört, dass der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, 2011 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags davon sprach, dass sich Michele Kiesewetter und Uwe Böhnhardt kannten oder früher sogar befreundet gewesen sein sollen? Eine Äußerung, die er später nie wiederholt hat.

Ein Kollege von Michele Kiesewetter hat vor dem baden-württembergischen Untersuchungsausschuss erklärt, dass er am Abend des 24.4. mit ihr in einer Pizzeria in Böblingen essen war. Sie wirkte auf ihn verängstigt und habe sich bedroht gefühlt. Von wem kam bei der Anhörung allerdings nicht heraus

Es gab auch noch einen zweiten Bezugspunkt, der in den Ermittlungen keine Rolle gespielt hat. Michele Kiesewetter soll mehrmals als verdeckte Ermittlerin in der Drogenszene zwischen Heilbronn und Stuttgart eingesetzt worden sein. Zu dieser Szene gehörte auch Jug P.. Der lebte zeitweise in Thüringen und soll vor dessen Untertauchen mit Uwe Mundlos in Kontakt gewesen sein. Der Name Jug P. wird auch immer wieder genannt, wenn es um Waffen und Thüringer Neonazis geht. Er soll bei der Beschaffung der Waffe, mit der das Kerntrio neun Menschen ermordet hat, beteiligt gewesen sein. Der Untersuchungsausschuss bedauert, hier nicht mehr Informationen aus Baden-Württemberg bekommen zu haben, so dass die Rolle von Jug P. nicht ausreichend untersucht werden konnte. Heute bewegt sich Jug P. in der baden-württembergischen Rocker- und Türsteherszene.

In diesem Zusammenhang kritisiert der Untersuchungsausschuss, dass die Zusammenarbeit und Verstrickung von kriminellen und neonazistischen Strukturen zu wenig in Betracht gezogen wurde. Dabei gibt es eine Schnittmenge zwischen organisierter Kriminalität und rechten Strukturen, nicht nur bei der Beschaffung von Waffen aus dunklen Kanälen. Immer wieder zeigt sich, dass Rockergruppen wie Bandidos oder Hells Angels auch mit Neonazis zusammenarbeiten.

Zusammenfassend stellen die Thüringer Abgeordneten fest, dass für sie der NSU keineswegs nur aus jener Dreiergruppe besteht, die von der Bundesanwaltschaft vorgeführt wurde, sondern ein arbeitsteilig vorgehendes Netzwerk war. Aus den Akten und der Anhörung von Zeugen kommen sie zu dem Ergebnis, dass mehrere Dutzend Menschen an der NSU-Struktur beteiligt sein gewesen sein müssen. Antifaschistische Recherchen belegen seit langem, dass das Umfeld des Kerntrios aus Mitgliedern von Blood & Honour bestand. Ihr militanter Arm, Combat 18, wird bis in die jüngste Zeit mit Anschlägen und auch dem Mord an Walter Lübcke in Verbindung gebracht.

 

Fortsetzung der Aufarbeitung der dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) sowie der mit ihm kooperierenden Netzwerke zuzuordnenden Straftaten unter Berücksichtigung der Verantwortung der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden, der zuständiger Ministerien sowie deren politischer Leitung bei der erfolglosen Fahndung nach den untergetauchten Mitgliedern des NSU. Der Bericht (2002 Seiten) steht zum Dowload unter https://bit.ly/3475tdW