Gesprächsaufklärung NSU

22. Januar 2020

Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses im Podcast-Format

antifa: Ihr habt drei Jahre lang als außerparlamentarische Beobachter die Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschuss besucht und regelmäßig Zusammenfassungen als Radio-Sendungen im Internet veröffentlicht. Wie kam es dazu?

GSA: Seit der NSU im November 2011 bekannt wurde, haben wir die Berichterstattung darüber verfolgt. Die Verstrickungen von Nazis und Behörden haben uns entsetzt, wenn auch nicht völlig überrascht. Bald hat sich gezeigt, dass auch der Brandenburger Verfassungsschutz mit seinem V-Mann Carsten Szczepanski eine Rolle im NSU-Komplex gespielt hat. Der V-Mann hatte schon 1998 wichtige Hinweise auf die späteren Mörder geliefert. Im Jahr 2016 hat deshalb der Brandenburger Landtag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt um das Handeln der Behörden zu untersuchen. Wir haben uns einen Podcast gewünscht, der den Untersuchungsausschuss begleitet und dokumentiert. Weil wir als Potsdamer in der Nähe waren, haben wir dann entschieden, es selbst zu versuchen.

antifa: Was unterscheidet euch von den anderen BeobachterInnen des Ausschusses wie beispielsweise NSU-Watch? Oder: Gibt es ähnliche Projekte wie eures?

GSA: Uns unterscheidet vor allem die Wahl des Mediums. NSU-Watch Brandenburg hat, ebenso wie wir, in fast jeder Sitzung des Ausschusses gesessen und anschließend Berichte veröffentlicht. Die Recherchen von NSU-Watch, von Journalistinnen und Antifa-Gruppen haben es uns erst ermöglicht, das im Ausschuss Gehörte einzuordnen und erklären zu können. Wir sehen unseren Podcast deshalb als eine Ergänzung, die es hoffentlich ein paar mehr Menschen ermöglicht hat, den Ausschuss zu verfolgen. Unser Vorbild war die »Technische Aufklärung« (technische-aufklaerung.de), die den NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag begleitet hat. Auch über den Untersuchungsausschuss zum Breitscheidtplatz-Attentat gibt es einen Podcast (uapod.berlin). NSU-Watch hat einen Podcast (nsu-watch.info/podcast), der aus Ausschüssen und Prozessen berichtet. Dort waren wir in Folge 35 zu Gast.

antifa: Was ist ein Podcast und warum habt ihr dieses Mittel der Verpackung von ziemlich komplexen Inhalten gewählt?

GSA: Podcasts sind Audiostücke, die man über eine App über eine Homepage hören kann. Wie Radio kann man sie gut »nebenbei« hören, etwa auf dem Weg zur Arbeit oder beim Kochen. Unsere Folgen sind zwischen 30 Minuten und 1,5 Stunden lang, was bei Podcasts relativ normal ist. Man hat also Zeit, komplexe Vorgänge zu erklären. Unsere Folgen hatten jeweils etwa 500 bis 1000 Downloads.

antifa: Es gibt kein gemeinsames Abschlussvotum des Brandenburger NSU-Ausschusses, also auch keine Einigkeit darüber, wie die gemeinsame Untersuchung zu bewerten ist. Würdet ihr sagen dass der Ausschuss deshalb gescheitert ist?

GSA: Ja und Nein. Der Ausschuss hat viel wertvolles Wissen produziert, aber was wie so oft bei der NSU-Aufklärung fehlt, sind die politischen Konsequenzen. Der UA hat gute Argumente geliefert, um den VS und das V-Leute-System in Frage zu stellen, weil beides ohne ständige, systematische Rechtsbrüche nicht funktioniert. Das neue Brandenburger VS-Gesetz führt stattdessen zu einer Stärkung des Dienstes.

antifa: Was könnte besser laufen, wie gut haben die Parteien-VertreterInnen ihren Job gemacht? Sind ParlamentarierInnen auf diese Aufklärungsarbeit überhaupt vorbereitet? Was bräuchte es dafür?

GSA: Alle VertreterInnen der demokratischen Parteien haben die Arbeit im Ausschuss ernsthaft betrieben. Gerade die Arbeit von Grünen und Linken muss man hier hervorheben, sie lässt sich auch in den umfangreichen Abschlussvoten erkennen. Ermöglicht haben das vor allem auch die MitarbeiterInnen der Fraktionen, die sich teilweise bis in die Nacht durch Aktenberge gewühlt haben. Einige haben zudem Erfahrungen aus anderen Untersuchungsausschüssen mitgebracht. Untersuchungsausschüsse brauchen aber in jedem Fall eine Öffentlichkeit, die Aufklärung auch einfordert.

antifa: Der Abschlussbericht des Ausschusses hat 3.283 Seiten. Ihr selbst habt viel Spannendes in rund 30 Stunden Podcast rausgebracht. Wer arbeitet weiter daran, stellt Verbindungen zu anderen Untersuchungen und Recherchen her?

GSA: Es gibt mittlerweile ein großes Netz von Betroffenen- und Antifa-Initiativen, JournalistInnen und ParlamentarierInnen, die recherchieren und Wissen vermitteln. Auch acht Jahre nach dem Auffliegen des NSU kommen immer noch neue Tatsachen ans Licht. Wir hoffen, wir konnten dazu einen kleinen Beitrag leisten.

Das Projekt »Gesprächsaufklärung« (GSA) hat den Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss von April 2016 bis Mai 2019 auf seinen 37 Sitzungen beobachtet und insgesamt 19 Podcast-Folgen daraus produziert. Alle Folgen sind auf der Webseite gsa.to nachzuhören. Mehr zum NSU in Brandenburg auch unter www.brandenburg.nsu-watch.info

Das Interview führte Nils Becker