Kein Ende. Nirgends
22. Januar 2020
Dokumente und Gedanken aus der Wendezeit von Christa Wolf
In der DDR-Wende von 1989 war die Schriftstellerin Christa Wolf eine unentbehrliche, wichtige Stimme. Sie hat sich unermüdlich eingemischt und eingesetzt für eine sachliche Klärung der aktuellen Konflikte. Sie hoffte, auf einen demokratisch veränderbaren Sozialismus, was in ihren Interviews und Berichten nun wieder nachzulesen ist. Die Leser erfahren viel Neues über Christa Wolfs Biographie, vor allem über ihre Arbeit als Schriftstellerin. Die Leser können im nun vorliegenden Buch auch ihre eigene Position »von damals« noch einmal reflektieren.
Im Unterschied zu Daniela Dahns Buch »Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute«, in dem es um die Analyse und Praxis der grundlegenden Umstrukturierung der DDR in eine kapitalistische Gesellschaft geht, geht es bei Christa Wolf noch um die Diskussionen im Vorfeld der Vereinigung – was von der sozialistischen Gesellschaft erhalten werden könnte oder sogar müsste.
Im Prozess der sogenannten Wiedervereinigung und der Neubesetzung der DDR-Ämter fragte Lothar de Maizière Christa Wolf sogar in einem Gespräch, ob sie für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren wolle. Christa Wolfs Antwort wird unterschiedlich überliefert. Zum Beispiel hätte sie spontan reagiert: »Wie bitte? Um Gottes Willen – nein! Dafür hab ich keine politische Ausbildung. Ich bin doch Schriftstellerin. Außerdem wissen Sie doch, dass ich den Sozialismus verteidige.« Eine andere Version besagt: »Nein. Ich bin gerade bei der Vorbereitung eines neuen Buches.« Das vorliegende Buch ist klein, aber wichtig. Man erfährt Neues über das engagierte Leben von Christa Wolf, auch über ihren Mann, Gerhard Wolf.
Ich finde es beeindruckend, wie sie die ihre eigene beharrliche Dialogbereitschaft begründet, die ihr z.B. auch bei Vertretern des Magistrat Respekt einbrachte, als sie Mitglied in dessen »Ausschuss zur Aufklärung der politischen Übergriffe gegen junge Leute am Jahrestag der DDR 1989« war.
In vielen Diskussionen machten beide Wolfs keinen Hehl aus ihrer politischen Enttäuschung über die Reformunfähigkeit des Sozialismus. Damals bewunderte ich sie für ihre beharrliche Hoffnung. Am 4. November vertrat Christa Wolf auf der Groß-Demo am Alexanderplatz die These: »Stellt Euch vor, der Sozialismus kommt und keiner geht weg.« Es war dies einer der zentralen Sätze ihrer sehr berührenden Rede.
Dieses Buch ist lesenwert, weil man daraus nicht nur viel über das Leben von Christa Wolf erfährt, sondern auch wegen der Geschichts- und Gesellschaftsanalysen und ihrem schon in dem Buch »Kindheitsmuster« erklärten kompromisslosen Nein zu jeder Form von Faschismus. Es ist ein Erinnerungsbuch für die Zukunft! Viele werde es wie eigene – leider nicht aufgeschriebene – Tagebuchblätter lesen. So, wie Christa Wolf immer wieder bereit war, in Gesprächen neue Erkenntnisse zu gewinnen, hoffe ich, dass viele Leser dieses Buch auch wie ein aktuell-persönliches Gespräch mit ihr erleben werden.
Übrigens: Weil »Kindheitsmuster« für Christa Wolf so wichtig waren, sollte die heranwachsende Enkelgeneration auch durch uns heutige Leser erfahren, wie Christa Wolf in der Wendezeit politisch gedacht und geschrieben hat. Vielleicht kommen dann ihre ungewöhnlichen Überlegungen sogar noch in die Klassenzimmer!