Eine alarmierende Bilanz

geschrieben von Peter C. Walther

6. Februar 2020

Urteile und Entscheidungen zugunsten von Neonazis

Der Umgang der Justiz mit Rechtsextremismus und Neofaschismus ist zum Teil mehr als skandalös. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, fasst es ziemlich zurückhaltend in die Worte: »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass auf dem rechten Auge bei der Justiz eine Sehschwäche vorliegt«.

Allein in den letzten Wochen und Monaten des eben abgelaufenen Jahres kam es zu einer Reihe verheerender Entscheidungen vornehmlich von Verwaltungsgerichten und Staatsanwaltschaften, die Freiraum schaffen für neonazistische, rassistische und antisemitische Hetze und Propaganda.

Da lehnte es zum Beispiel die Staatsanwaltschaft Dortmund ab, gegen den Aushang von Plakaten der Neonazi-Partei »Die Rechte« tätig zu werden, die in Anlehnung an die Nazi-Parole »Die Juden sind unser Unglück« verkündeten »Israel ist unser Unglück«. Die Behörde erklärte, wenn ein Text verschiedene Deutungen zulasse, müsse die für den Urheber günstigste Auslegung gewählt werden. In diesem Fall ist es die für die Neonazis günstige.

Ein ähnliches Verhalten zeigte das Verwaltungs-gericht Gelsenkirchen, als es entschied, dass die Parole »Nie, nie, nie wieder Israel«, wie sie für eine Neonazi-Demonstration angekündigt und dann auch verwendet wurde, nicht untersagt werden dürfe.

In Lüneburg hob das Oberverwaltungsgericht, ebenso wie im Vorfeld bereits das Verwaltungsgericht Hannover, das polizeiliche Verbot einer Demonstration der NPD auf, das sich gegen namentlich genannte Journalisten richtete, die Recherchearbeit gegen Alt- und Neonazis geleistet hatten. Gegen einen von ihnen wurden bereits im Vorfeld der Neonazi-Demo mehrere Drohungen und Mordaufrufe in Umlauf gebracht, bis hin zu der Aufschrift »Wir töten Dich« an der Haustüre des Journalisten. Das Verwaltungsgericht räumte zwar ein, dass die NPD-Demonstration gegen Journalisten »einschüchternde Tendenzen« aufweise, aber dennoch »keine unmittelbare Gefährdung« der Pressefreiheit darstelle.

Im Fall des Neonazi-Aufmarsches in Bielefeld für die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck ausgerechnet am »historisch belegten Gedenktag« 9. November kassierte das Verwaltungsgericht Minden das polizeiliche Verbot der Neonazi-Provokation.

Häufig wird Neonazis und Rechtsextremisten zugestanden, ihre Hass- und Hetzparolen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verbreiten zu können. In der Konsequenz läuft das darauf hinaus, Aufrufe und Handlungen zur Beseitigung von Demokratie und Menschenrechten als demokratisches Recht auszulegen.

Bislang am krassesten bei der Zulassung von Neonazi-Hetze verhielt sich jüngst der federführende Richter des Verwaltungsgerichts Gießen. Er erklärte nicht nur den hetzerischen Text des NPD-Plakats »Stoppt die Invasion: Migration tötet« mit der Aufforderung »Widerstand jetzt« für straffrei. Er verwendete zugleich viel Zeit und Mühe, mit einer seitenlangen Entscheidungsbegründung den NPD-Text für gerechtfertigt zu erklären (Az.: 4 K 2279/19.GI).

Da heißt es in Übereinstimmung mit NPD-Parolen, im Jahre 2015 seien »die deutschen Grenzen… im Sinne des Eindringens… überrollt« worden. Das sei »durchaus mit dem landläufigen Begriff der Invasion vergleichbar«. Ähnlich rechtfertigt Richter Andreas Höfer die Kernaussage des NPD-Plakats »Migration tötet!«

Nach seitenlanger Beschäftigung mit »Wanderungsbewegungen« aus der Zeit von vor Christus über die des Römischen Reiches, das daran zugrunde gegangen sei, bis hin zu den Einwanderungen in Nord- und Südamerika und solchen der Neuzeit kommt der Verwaltungsrichter dem Ergebnis: »Aus den vorzitierten beispielhaften historischen Wanderungsbewegungen wird deutlich, dass Migration tatsächlich in der Lage ist, Tod und Verderben mit sich zu bringen.« Demnach erfülle der Plakattext nicht den Tatbestand der Volksverhetzung. Bei der Einwanderung von Flüchtlingen habe es sich tatsächlich um eine »Invasion« gehandelt.

Der lässige bis skandalöse Umgang von Richtern und Staatsanwälten mit Nazi-Propaganda und Hetze findet Rückhalt und Förderung auch in höchstrichterlicher Rechtsprechung. So erklärte das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Herbst erneut, dass selbst hetzerische und offen rassistische Äußerungen unter die Meinungsfreiheit fallen könnten. Eventuelle Rechtsverletzung müsse konkret nachgewiesen werden.

Diese Mühe aber machen sich viele Richter und Staatsanwälte nicht. Gründe und Ursachen dieses Verhaltens sind vielfältig. Zu ihnen gehört sicherlich auch, dass die bundesdeutsche Justiz nach 1945 in weiten Teilen von Richtern und Staatsanwälten der Nazizeit geprägt wurde.

Im Blog der Frankfurter Rundschau kommt Manfred Wagner zu der Einschätzung: »Über all der teilweise unglaublich nazifreundlichen Haltung deutscher Richter und Staatsanwälte steht jenes unsägliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der NPD zwar bescheinigte, dem Grundgesetz feindlich gegenüber zu stehen, aber gleichzeitig von einem Verbot Abstand genommen hat, weil die NPD angeblich viel zu klein, unbedeutend und einflusslos sei.«