Der doppelte Anschlag

geschrieben von Thomas Willms

6. April 2020

Rassismus und Terror destabilisieren die Demokratie

Die entsetzlichen rassistischen Morde von Hanau und die AfD-gestützte Wahl des FDP-Politikers Kemmerich in Thüringen stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang. Selbst Bundesinnenminister Seehofer hat erkannt, dass die AfD mit geschossen hat. Nicht, dass das sein Zitat wäre, aber er gab doch zu verstehen, dass es die brutale Stigmatisierung von Muslimen durch die AfD ist, die rechte Terroristen zu ihren Taten anstachelt. Schade nur, dass ihm nicht einfiel zu reflektieren, dass er selbst Einwanderung zur »Mutter aller Probleme« erklärt hatte. Nicht, dass seine momentane Erkenntnis irgendwelche Folgen haben wird, außer einer weiteren Verstärkung der Sicherheitsapparate. Angehörige eben dieser Apparate werden allerdings in immer kürzeren Abständen als angehende Terroristen und Terrorhelfer enttarnt.

Der Zusammenhang beider Ereignisse besteht aber nicht nur auf der ideologischen Ebene, sondern auch auf der funktionalen. Und hier wird deutlich, dass Geschichte sich eben doch wiederholt und zwar nicht als Farce, sondern als Kopie. 2020 ist nicht 1932, doch die Prozesse sind, wenn auch nicht im Ausmaß, aber im Prinzip dieselben.

Höckes AfD und die Mörder und Mordtruppen von Halle und Hanau verbindet das gleiche Verhältnis wie Hitlers NSDAP mit den rechtsradikalen Fememördern der Weimarer Republik. Ihr Vorgehen ist arbeitsteilig, ihr Ziel dasselbe. Geben AfD und Helfer vor für »Ordnung« und »Stabilität« sorgen zu wollen, tun sie in Wirklichkeit das Gegenteil. In Ruhe und sicheren Verhältnissen kann der Faschismus nicht gedeihen. Er braucht die Angst, je diffuser desto besser, die er mit hemmungsloser Schreierei immer weiter anzufachen versucht. Er braucht Feindbilder, die er als bedrohlich und minderwertig zugleich zeichnet, um seinen Anhängen etwas zu geben, dem sie sich überlegen fühlen können.

Und er braucht das Chaos, denn nur im Chaos kann Orientierungslosigkeit, Verzweiflung und Skrupellosigkeit so groß werden, dass nennenswerte Kräfte auf das Hochrisikospiel Faschismus setzen. Kommt das Chaos nicht von allein, durch Wirtschaftskrise, Kriegsniederlage und ähnliches, muss es erzeugt werden. »Das Fallende auch noch stoßen« nannte Ernst Jünger dies und tat das seinige, um die deutsche Jugend für Stahlgewitter zu begeistern. Liebknecht, Luxemburg, Rathenau, Erzberger und viele andere Demokraten starben durch Angehörige der damaligen Sicherheitsapparate, die sich für berechtigt hielten, ihre vom Staat verliehenen Waffen selbständig einzusetzen.

Die Mörder von Hanau und Halle wollten nicht einfach nur Menschen töten, die sie für Nicht-Deutsche hielten, sondern sie wollten Millionen Anderen »mit Migrationshintergrund« das Gefühl der Sicherheit nehmen. Sie wollten ihnen die Sicherheit nehmen, sich als Deutsche unter Deutschen, wenigstens aber als Bewohner unter zivilisierten Mitbewohnern zu fühlen.

Höckes AfD ihrerseits ging es nicht nur darum, den ersten linken Ministerpräsidenten zu beseitigen und einen Marionetten-FDPler zu wählen, sondern darum, das demokratisch-parlamentarische System als Ganzes zu desavouieren. Das kaum beachtete Detail, dass sie ihren eigenen Kandidaten nicht wählten, der sich das schenkelklopfend auf der Tribüne gefallen ließ, zeigt dies in aller Deutlichkeit. »Schaut her, es ist nur ein Spiel, das man vom Tisch fegen kann, wenn man nur stark genug ist.« oder in Höckes eigenen Worten in einem Brief an seine Mitglieder, hier in der üblichen Projektion auf den Gegner: »Die Demokratie wird damit größtenteils bloß noch zur Fassade.«

Das ist Höckes Botschaft, die gespenstisch an die eskalierend pseudodemokratischen Akte in den deutschen Parlamenten des Jahres 1932 erinnert.

Der Faschismus ist durch die Kombination legaler und extralegaler Aktionen an die Macht gekommen. In der gleichen Kombination agiert er auch heute, vor unseren Augen.

Und etwas Drittes erinnert an 1932. Es ist der erste echte Zweifel bei den Machtergreifern, der Blick in den Abgrund. Das Hamburger Wahlergebnis, mit der für Stunden aufblitzenden Möglichkeit einer ernsten Niederlage, ließ sie erschauern. Das Gefühl, das Zeitfenster zu verpassen, wird die Bereitschaft zur hemmungslosen verbalen und realen Gewalt nicht dämpfen, sondern vielmehr anfachen. Alles zusammen setzt den Kurs für den nächsten AfD-Bundesparteitag, bei dem der »Sozialpatriotismus« zur Hauptlinie werden soll. Sozialpatriotismus? Auch das kennt man. Früher hieß er Nationalsozialismus.