Kein neues Phänomen
27. Mai 2020
Spur rechten Terrors seit Jahrzehnten erkennbar
Zwölf Todesopfer rechten Terrors gab es von Oktober 2019 bis März 2020 in Deutschland. Das stellt eine neue Qualität neofaschistischer und rechtspopulistischer Bedrohung dar. Mittlerweile haben das alle demokratischen Parteien erkannt.
Doch der rechte Terror ist in der Bundesrepublik nicht neu. In der jüngeren Geschichte ist neben den NSU-Morden und Bombenanschlägen (2000-2007) noch vor den Morden von Hanau (20. Februar 2020) die Tat des Schülers David Sonboly bekannt geworden. Er tötete am 22. Juli 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum neun Menschen mit Migrationshintergrund. Erst später wird die Tat als rechtsextremistischer Anschlag anerkannt. Im Juni 2019 erschoss der Rechtsextremist Stephan Ernst den Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Terrasse dessen Hauses. Am 9. Oktober 2019 tötete Stephan Baillet zwei Zufalls-opfer, nachdem der von ihm geplante Anschlag auf die Besucher der Synagoge in Halle gescheitert war.
Aber die Geschichte des westdeutschen rechten Terrors reicht weiter zurück. Die Historikerin Barbara Manthe hat die Kontinuität rechter Gewalt erforscht. Viele Gruppen von Rechtsterroristen der 70er und 80er Jahre waren bisher eher unbekannt. Wie etwa die Gruppe um Paul Otte, die ab 1977 mit Neonazis aus Hamburg, Hannover und Schleswig-Holstein zwei Anschläge auf Justizgebäude in Flensburg und Hamburg verübte. Die Gebäude waren als Symbole und Einrichtungen des Rechtsstaates oft Angriffsziele von Neonazis.
In den ersten Jahren der BRD gab es viele antikommunistisch motivierte Angriffe auf Einrichtungen der DDR und der Sowjetunion in der BRD. Aber auch der vermeintliche inneren Feind war ein Ziel. Attackiert wurden Büros der KPD und später der DKP sowie Juso-Einrichtungen.
Ende der siebziger Jahre führte das Narrativ vom Widerstand gegen den amerikanischen Imperialismus auch zu rechtem Terror gegen amerikanische Truppen. So durch die Hepp-Kexel-Gruppe, die 1982 mit zwei Anschlägen den Abzug der amerikanischen Truppen erzwingen wollte.
Die meistens aus einem bürgerlichen Leben -heraus agierenden rechten Gruppen vertraten einen offenen Antisemitismus. 1980 wurden in Erlangen der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Frau von Neonazis ermordet. Bereits 1970 waren bei einem Anschlag auf ein jüdisches Altersheim sieben Menschen ums Leben gekommen.
In den 80er Jahren gab es durch die »Deutschen Aktionsgruppen« um Manfred Röder die ersten Anschläge auf Flüchtlinge. Bei einem Anschlag am 22. August 1980 auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hamburg waren zwei Vietnamesen umgekommen. Die Terroristen um Manfred Röder verübten auch Anschläge auf Orte der NS-Vergangenheits-bewältigung. Nach 13 Jahren Haft kam Manfred Röder wegen eines Farbanschlags auf die Wehrmachtsausstellung 1996 erneut vor Gericht. Mit im Saal saßen die späteren NSU-Terroristen Mundlos, Böhnhardt und mehrere ihrer Helfer.
Die Gruppe um Nikolaus Uhl und Kurt Wolfgram agierte im Untergrund aus Frankreich. Sie plante von dort aus Aktionen (zum Beispiel die Sprengung der KZ-Gedenkstätte Dachau) und führte einen Banküberfall durch. Die deutschen Ermittler interessierten sich kaum für sie und ihren deutschen Förderer Friedhelm Busse.
Die Wehrsportgruppe Hoffmann war nach ihrem Verbot 1980 in ein PLO-Camp in den Libanon gegangen. In der Hoffmann-Gruppe gab es ein Mitglied, das 1971 Bundespräsident Heinemann ermorden wollte. Ein weiterer Rechtsterrorist, Frank Schubert, erschoss 1980 an der deutsch-schweizerischen Grenze zwei Schweizer Grenzbeamte, weil er Waffen schmuggeln wollte. 1982 erschoss der Neonazi Helmut Oxner in einer Nürnberger Diskothek zwei schwarze US-Bürger und später einen Ägypter. Nicht vergessen werden darf der bis heute nicht aufgeklärte rechtsterroristische Anschlag auf das Oktoberfest 1980 mit zwölf Toten und zweihundert Verletzten.
Nicht selten wurden die Taten als Amoklauf oder als Tat eines Einzeltäters bewertet. Die Wissenschaftlerin Barbara Manthe von der Hochschule Düsseldorf geht in den 70er und 80er Jahren von 25 terroristischen Gruppen in der BRD aus, die bis zu zwanzig Mitglieder hatten. Auf einer Tagung zu »Kontinuitäten rechter Gewalt« im Februar beklagte sie das Fehlen ausreichender Forschungsstrukturen zum Rechtsterrorismus. Insbesondere mangele es an einer langfristigen institutionellen Förderung.
Die Kontinuität des Terrors, der in immer kürzeren Abständen Betroffenheit und Entsetzen auslöst, sollte zu einem Umdenken – nicht nur in der Wissenschaftsförderung führen.