Wirkungsvolle Mechanismen

geschrieben von Janka Kluge

24. Juli 2020

Was weiße Menschen über Rassismus wissen sollten

Die Journalistin und Moderatorin Alice Hasters hat ein wichtiges Buch geschrieben. In »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – Aber wissen sollten« hat sie ihre Erfahrungen als Frau mit einer schwarzen Hautfarbe in Deutschland aufgeschrieben. Die Erfahrungen sprechen davon, dass ihr fremde Menschen in die Haare fassen, oder ihr freudig sagen, dass sie aber gut deutsch spricht. Zu den immer wieder auftauchenden Sätzen gehört auch die Frage nach ihrer Herkunft. Wenn sie dann sagt aus Köln Nippes, kommt oft als nächstes die Frage nach den Wurzeln der Herkunft. Eine Frage, die meistens wohl nicht verletzend und rassistisch gemeint ist. Trotzdem beschreibt Alice Hasters was bei so einer Frage in ihr vorgeht. »(…) die Frage nach der Herkunft, wie sie mir auch heute noch gestellt wird, bekundet meist kein Interesse an mir, sondern die Bestätigung bestimmter Vorurteile.«) Bei diesen Vorurteilen wird unterstellt, dass nur Menschen mit einer weißen Hautfarbe Deutsche sein können. Rassismus, wie Hasters ihn beschreibt, ist nicht nur die persönliche Erfahrung einzelner Menschen. Weil alle Menschen mit einem bestimmten Aussehen sie machen müssen, ist es richtig von einem System zu sprechen. »Dieses System nennt sich ›White Supremacy‹ – Weiße Vorherrschaft. Wenn ich von Rassismus spreche, dann meine ich diesen wirkungsvollen, systematischen Rassismus, der die Fähigkeit hat, Menschen zu unterdrücken.«

Dieser systematische Rassismus findet sich überall. Weil er in allen Strukturen vorkommt, ist es wichtig ihn auch so zu begreifen. Hasters beschreibt ihn auch am Schulunterricht. Es gibt keine Textaufgaben in der Mathematik, in der eine nicht weiße Familie beschrieben wird. Die Unterrichtsmaterialien gehen alle von einem gleichen Standard aus, »der weiß, männlich, christlich und heterosexuell« geprägt ist. Sie beschreibt, wie ihr Deutschlehrer ganz begeistert im Unterricht von der Aufklärung erzählte. Stundenlang haben sie einen Text nach dem anderen von Kant durchgenommen. Seine berühmte Definition, wonach die Aufklärung der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit ist, hat der Lehrer immer wieder zitiert. Er hat allerdings nicht gesagt, dass Kant wie viele andere seiner Zeit auch erschreckend rassistisch dachte. »Die Idee des Menschen, der nur durch Wissen zu seiner Vollkommenheit kommen konnte, funktioniert bei Kant über Abgrenzung. Die Weißen waren klug, weil es die Schwarzen nicht waren.« Alice Hasters zitiert in dem Buch die Erziehungswissenschaftlerin Aylin Karabulut, die in Interviews gezielt nicht-weiße Schüler nach ihren Erfahrungen befragt hat. Fast alle haben davon berichtet, in der Schule schon diskriminiert worden zu sein.

Rassismus in Deutschland zeigt aber noch andere Gesichter. Eines davon ist ›Blackfacing‹, also das Gesicht mit schwarzer Farbe anzumalen. Es kommt meistens beim Fasching, oder Karneval vor und ist lustig gemeint. In den Niederlanden gibt es seit Jahren eine Diskussion um die christliche Tradition des Knecht Ruprechts, der den Nikolaus begleitet. Wenn ein Kind aus der Sicht der Erwachsenen nicht artig war, belegt es Nikolaus mit einer Strafe, die dann von Ruprecht durchgeführt wird. Dieser ›Zwarte Piet‹ (Schwarze Peter) wird in den Niederlanden traditionell mit schwarzer Hautfarbe dargestellt. Seit einigen Jahren protestieren People of Color gegen diese Tradition. In dem Festhalten daran spiegelt sich auch koloniales Denken. Der schwarze Mann als Diener des weißen Mannes, der seine Anweisungen ausführt. Eine ähnliche Tradition gibt es in Deutschland. Immer um den 6. Januar ziehen Kinder verkleidet als die Heiligen Drei Könige durch die Straßen. Einer von ihnen war Caspar. Um ihn darzustellen, wird das Kind schwarz geschminkt. Die Geschichte der Heiligen Drei Könige hat sich, so wie sie erzählt wird, mit großer Wahrscheinlichkeit nie abgespielt. Die Erzählung tauchte zum ersten Mal 200 Jahre nach der Kreuzigung auf. Weitere 200 Jahre hat es gebraucht, bis die Erzählung mit den dargebrachten Geschenken in die christliche Tradition übernommen wurde. Die drei Könige stehen für die damals bekannte Welt. Durch die Darbietung der Geschenke aus den jeweiligen Regionen wird gezeigt, dass sich das Christentum von einer Sekte aufgemacht hat, eine weltumspannende Religion zu werden, der sich andere unterwerfen müssen.

Andere Strukturen, die rassistisches Denken verfestigen, sind ›Othering‹ (engl. für Distanzierung von Andersartigem) und ›Tokenism‹ (engl. für zeichenbasiertes Handeln). Unter Tokenism versteht man Zuschreibungen auf Personen auf Grund ihres Äußeren. Sie werden dann in Gedanken-Schubladen gesteckt, die mit der Realität der Person nichts zu tun hat. Durch die Unterscheidung von Gruppen werden Menschen ausgeschlossen. Moderne Rassismusforschung spricht deswegen auch eher von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Alice Hasters möchte, dass wir über Rassismus sprechen. Das Buch ist vor der aktuellen Black Lives Matter Bewegung in Deutschland geschrieben worden. Es ist ein wichtiges Buch, um die Bewegung zu verstehen. Aber auch, um sich selbst immer wieder zu prüfen und zu hinterfragen.

Alice Hasters »Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen – Aber wissen sollten« Hanser Verlag 2019, 208 Seiten, 17 Euro