8. Mai: Fünf in Einem

geschrieben von Wolfgang Herzberg

20. August 2020

Eine Nachbetrachtung zum Tag der Befreiung und des Gedenkens

Der 8. Mai ist der wichtigste gesetzliche Feier- und Gedenktag unserer jüngsten Geschichte, oder besser er sollte es werden. Dieser Tag prägte wie kein anderer in all seinen Dimensionen die Zukunft des Lebens in Deutschland und auch der Weltgeschichte und tut dies weiterhin.

Ein Tag des Friedens

Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und der NS-Herrschaft wurde der bisher furchtbarste Krieg der Weltgeschichte, der Zweite Weltkrieg, endlich beendet. Er kostete 65 Millionen Menschen das Leben. Davon sechs Millionen Juden, die auf bisher nie bekannte industrielle Weise ermordet wurden. Der Krieg hinterließ unbeschreibliche Zerstörungen und Leid. Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg wurde durch die Mehrheit der Deutschen mit verursacht und geduldet. Sie fügten auch sich selbst unermessliches Leid zu, als dieser Krieg auf sie zurückschlug. Aber dieser Tag schuf zugleich die wichtigsten Voraussetzung für den friedlichen Wiederaufbau hierzulande und international. Er war die Geburt einer nationalen und internationalen neuen Rechtsordnung, die zur Verurteilung der Hauptkriegsverbrecher beitrug. Durch die Gründung der Vereinten Nationen 1948 und die UN-Charta wurde ein völlig neues Kapitel der Weltordnung aufgeschlagen.Es entstanden nationen-übergreifend Grundbedingungen für eine potentiell friedliche Menschheitsentwicklung, völkerrechtlich bindend, definiert.

Ein Tag der Befreiung

Durch die verbündeten alliierten Völker und Armeen sowie die nationalen und internationalen Widerstandsbewegungen gelang es, die Welt und damit auch die Deutschen von der blutigsten Diktatur der Weltgeschichte zu befreien. Dies war trotz vorausgehender Beschwichtigungspolitik und 
Gefahrenunterschätzung aller Seiten somit das
erste Beispiel, das es möglich war, eine globale Bedrohung der Menschheit nur durch solidarisches Handeln zu überwinden. Dieser gemeinsam errungene Befreiungstag wird deshalb immer eine Blaupause für die Überwindung weltweiter Krisen bleiben. Aber die Rechten, die sich offenbar immer noch mit Nazideutschland identifizieren, sprechen vom Tag der »Niederlage«. Die Linken seit jeher zurecht von einem Befreiungstag. Es verbietet sich jeglicher Geschichtsrelativismus, der versucht, rechte und linke Bewegungen ahistorisch auf eine Stufe zu heben (sogenannte Hufeisentheorie). Sie führte auch 
zum jüngsten Skandalurteil, der VVN-BdA Bundesvereinigung die Gemeinnützlichkeit abzusprechen.

Ein Tag der Trauer

Es ist immer wieder daran zu erinnern, welch unsagbares Leid Deutsche über die Völker der überfallenen Nationen und auch über die Juden gebracht haben. Aber es ist auch wichtig, das Leid der Deutschen nicht zu verdrängen, das sie sich selbst durch Zustimmung und Gefolgschaft gegenüber der Naziherrschaft bis zum Schluss zugefügt haben. Es darf keine Unfähigkeit zum Mitgefühl und zur Trauer geben, egal um welche Opfergruppe es sich dabei handelt. So kann die Gefahr der Wiederholung und Verführung durch rechte Strömungen besser gebannt werden.

Ein Tag des Gedenkens

Es gilt immer wieder das Bewusstsein zu schärfen, warum die Naziherrschaft an die Macht kommen konnte? Dabei dürfen die gesellschaftlichen Ursachen nicht verdrängt werden: (1) die gravierende soziale Spaltung in Deutschland, nicht zuletzt durch die kapitalistische Weltwirtschaftskrise; (2) die finanzielle Unterstützung der Nazis durch Teile des Großkapitals und des bürgerlichen Lagers, das zunächst hoffte, von politischer Gleichschaltung, gigantischer Aufrüstung und Krieg besonders profitieren zu können; (3) die unnötige Zerstrittenheit des linken Spektrums in der Weimarer Republik, das sich nicht auf einen gemeinsamen Kampf gegen die Nazis einigen konnten; (4) die Inkonsequenzen der Weimarer Verfassung und Republik sowie schließlich der lange tradierte Untertanengeist und Kadavergehorsam in der Mentalität der Deutschen, die aus der relativ späten bürgerlichen Revolution und der dadurch fehlenden demokratischen Zivilgesellschaft resultiert.

Der Tag der Zukunft

Der 8. Mai 1945 schuf die Voraussetzungen für den späteren mühsamen ökonomischen Wiederaufbau, mit dem Bemühen um stärkeren sozialen Ausgleich und soziale Sicherheit. Auch die Grundlagen für die allmähliche Demokratisierung in beiden deutschen Staaten wurden geschaffen, überschattet allerdings vom bald einsetzenden »Kalten Krieg« und der schmerzlichen Spaltung Deutschlands. Es folgten Tendenzen der Restauration in der Adenauer-Ära und des Stalinismus unter Ulbricht. Doch in beiden deutschen Staaten kämpften Menschen stets um mehr demokratische Teilhabe. Dafür gibt es keinen Alleinvertretungsanspruch. Leistungen und Grenzen der NS-Aufarbeitung in beiden deutschen Staaten gilt es, vergleichend, auf Augenhöhe, kritisch zu würdigen. Das ist eine bleibende Zukunftsaufgabe, deren Einlösung diesen Tag zu einem wirklichen Feiertag machen könnte.

 

 

 

 

Angesichts der immer noch zu wenig konsensfähigen Reden und Kommentare zum 8. Mai fühlte sich Wolfgang Herzberg erneut als jüdischer Nachgeborener herausgefordert, darüber nachzudenken, welche vielschichtige Bedeutung dieser Tag für die Entwicklung Deutschlands 
und der Welt hat.

 

 

Mehr zum 8. Mai im Spezial der Mai/Juni-Ausgabe 2020 von Ulrich Schneider. Online unter antifa.vvn-bda.de. Als Sonderdruck erhältlich über VVN-Shop, Magdalenenstraße 19, 10365 Berlin.

 

 

Die Forderung, den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag zu machen, ist auch Gegenstand einer Petition bei change.org unter bit.ly/2AuMYHg