Der Stil des ›Wir‹

geschrieben von Janka Kluge

24. September 2020


Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten

Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering hat im November 2018 vor der Plenarversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gesprochen. Das Zentralkomitee hatten ihn eingeladen, über die Rhetorik der AfD zu referieren. Der Vortrag ist jetzt stark erweitert bei Reclam erschienen.

Detering hat Reden und Veröffentlichungen führender AfD-Politiker sowie literarische Texte untersucht. Im Vorwort schreibt er: »Im Folgenden geht es also nicht allein um die Wörter, sondern um ihre Kontexte, ihre Pragmatik und ihre Performanz. Es geht um Stilanalyse und Rhetorik.«

Typische Äußerungen

Die Aussagen, die Detering untersucht, sind bekannt. Oft ist in den Medien über sie berichtet worden und es hat sich eine Diskussion über das Sagbare entwickelt. Es ist aber gesagt worden und war dadurch in der Welt. Hinter den Äußerungen »Vom Vogelschiss der Geschichte«, dem »Mahnmal der Schande« und den »Kopftuchmädchen« steckt System. Es geht in den Reden stets um ein vermeintliches »wir« und »die Anderen«, die angeblich nicht dazu gehören. Diesem »Wir« wird eine gemeinsame Kultur und Geschichte zugeschrieben. Immer wieder sagen führende Mitglieder der AfD, dass sie sich das Land zurückholen wollen. Detering führt dazu aus: »Höcke setzt eine Zeitenwende voraus, einen Gegensatz von Vorher und Nachher. (…) Höcke datiert seine Zeitenwende erstaunlich präzise, nur tut er es indirekt, über die Bande. Gut und richtig waren die Zustände demnach vor der ›umfassenden Amerikanisierung‹ und der ›nach 1945 begonnen systematischen Umerziehung‹. Gut und richtig waren sie vor dem 8. Mai 1945.« Höcke nenne dieses Datum in seiner Polemik gegen Richard von Weizsäcker ausdrücklich. Es lohnt sich für die Analyse nicht nur ein, oder zwei Sätze der Reden zu lesen, sondern sie sich insgesamt anzuschauen. Deterings Analyse ist so wichtig, dass ich sie ausführlicher zitieren möchte.

»Infolge der 1945 begonnenen Umerziehung weg vom Nationalsozialismus hin zur Demokratie befinden diejenigen, die Höcke ›wir‹ nennt, sich bis in die Gegenwart hinein, ›immer noch‹ in einer ›Geistesverfassung‹ und in einem ›Gemütszustand eines total besiegten Volkes‹. ›Total‹ war also nicht der Krieg, den Goebbels gegen die zivilisierte Welt ausgerufen hat, ›total‹ war vielmehr der Sieg der parlamentarischen Demokratie und der offenen Gesellschaft. Man muss sich das in der Deutlichkeit vor Augen halten, in der er es selbst sagt. Höckes Antwort auf die Frage, wen er mit ›unser Volk‹ meint lautet: das was am 8. Mai 1945 besiegt worden ist. Dagegen sind alle, die heute in Deutschland leben und sich zur Demokratie, Westbindung, offenen Gesellschaft bekennen, Volksfeinde und Verräter – im günstigsten Fall noch irgendwie ›zurück(zu)holen‹, an den schlechtesten mag man gar nicht denken.«

Drohungen

In seinem Buch »Nie zweimal in den gleichen Fluss« hat Höcke die Drohungen gegen Linke und Antifaschisten, die sich nicht vereinnahmen lassen, deutlich ausgesprochen. Es müsse zu »wohltemperierten Grausamkeiten« kommen, wenn sie aus dem Volk ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt nach Höcke auch für die Millionen Menschen, die angeblich nicht nach Deutschland gehören.

Detering führt in seinem Buch ein weiteres Beispiel an. Die Präsidentin des baden-württembergischen Landtags Muhterem Aras wird von Mitgliedern der AfD-Fraktion oft attackiert. Sie sprechen ihr das Recht ab, sich als Deutsche zu bezeichnen, obwohl sie seit vielen Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und die allermeiste Zeit ihres Lebens in Deutschland gelebt hat. Immer wieder betont Aras, wie wichtig es ist, dass aus der Vergangenheit gelernt wird, damit sich der Faschismus nicht wiederholt. Emil Sänze, stellvertretender Fraktionsvorsitzende der AfD im Landtag sagte in einer Rede: »Als der unsägliche Judenmord stattfand, hatten die Vorfahren von Frau Aras daran genauso wenig Anteil wie am Sieg Otto des Großen über die Ungarn, an den Opfern der Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg, an der Reichsgründung Bismarcks oder an der Verabschiedung des Grundgesetzes.« Was Sänze hier einfordert, ist eine Form Ariernachweis, der in das Jahr 955 zurückgeht.

Deterings kleines Büchlein, es umfasst nur 77 Seiten, ist wie Arznei gegen Rassismus. Dadurch, dass er an wenigen ausgesuchten Beispielen aufzeigt, was im Kontext von Äußerungen von führenden AfD-Politikern eigentlich gemeint ist. Zusammenfassend führt er am Schluss des Buches aus, dass die Sprache Gaulands dem »Jargon von Gangstern« gleicht. Das gilt nicht nur für Gauland. Sie sprechen nicht nur die Sprache von Nazis, sondern sind welche.

Heinrich Detering: Was heißt hier »wir«?, Reclam Verlag 2019, 
77 Seiten, 6 Euro