Das Problem hat Struktur
27. Oktober 2020
Gastbeitrag von Martina Renner zu Drohbriefen des NSU 2.0
Seit 2018 erhalten vornehmlich Frauen, die in der Öffentlichkeit Position gegen die extreme Rechte beziehen, Drohbriefe, die mit NSU 2.0 unterzeichnet sind. Nun ist es für Menschen, die sich gegen Neonazis engagieren, leider nicht ungewöhnlich, von eben diesen bedroht zu werden. Diese Bedrohung hat unterschiedliche Facetten. Sie betrifft Antifaschist*innen, deren tägliche Wege von der Gefahr rechter Übergriffe geprägt sind oder Mitarbeiter*innen von Beratungsprojekten gegen Rechtsextremismus, die öffentlich von Rechten als Ziele markiert werden. Sie betrifft Lokalpolitiker*innen oder Journalist*innen, die in ihrer Arbeit bedroht und behindert werden, und sie betrifft Menschen, die sich öffentlich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren.
Was die Drohungen des »NSU 2.0« zu anderen unterscheidet, ist, dass sie oftmals persönliche Daten der Betroffenen oder ihres Umfeldes enthalten, die nicht öffentlich zugänglich sind. In mehreren Fällen wurden vor dem Eintreffen der Drohbriefe die Daten der Empfängerinnen von Polizisten abgerufen.
Das macht sowohl die Drohungen als auch den Umgang mit ihnen schwerer.
Die Drohungen sollen – wie alle Drohungen - verunsichern. Die persönlichen Details sollen den Eindruck erwecken, die Betroffenen könnten sich auf den Schutz der Polizei nicht verlassen, weil die Täter Polizisten sind oder zumindest Unterstützung aus dem Polizeiapparat erhalten. Selbstverständlich wird dadurch das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden empfindlich geschwächt.
Erst öffentlicher Druck durch die Betroffenen, kritische Presseberichte, zivilgesellschaftliche Initiativen und Politik haben dazu geführt, dass die Polizei unter Handlungsdruck gesetzt wurden. Doch bislang haben die Ermittlungen keine Erfolge zeitigen können. Es scheint sogar so, als ob wichtige Möglichkeiten ungenutzt geblieben sind. So versäumten es die Behörden in den Fällen der Bedrohungen gegen die hessische Fraktionsvorsitzende der Linken Janine Wissler und die Kabarettistin İdil Baydar, die Handys und digitalen Geräte der Polizisten zu durchsuchen, die mutmaßlich die Daten an einem Polizeirechner abgerufen haben. Das unterblieb, weil die Polizisten nicht als Beschuldigte sondern als Zeugen geführt wurden. Im Fall der Drohungen gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız waren es genau solche Durchsuchungen, die zum Bekanntwerden einer rechten Chatgruppe von Polizisten geführt haben. Dies also in den anderen Fällen zu unterlassen, ist aus zwei Gründen ein unentschuldbares Versäumnis.
Erstens bedeutet es, der wahrscheinlich vielversprechendsten Spur nicht nachzugehen und damit die Serie der Bedrohungen nicht zu stoppen, die Täter nicht zu ermitteln und die Opfer nicht zu schützen.
Zweitens sendet diese Unterlassung ein gefährliches Signal in den Polizei-Apparat, weil der Abruf von privaten Daten zu nicht-dienstlichen Zwecken keine unmittelbaren empfindlichen Folgen hat.
Der zweite Aspekt ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil es keine Seltenheit ist, dass Polizisten ihre dienstlichen Befugnisse missbrauchen. Deutschlandweit sind Fälle bekannt, in denen Beamte aus privaten Gründen solche Abfragen getätigt haben. Dass so etwas gehäuft vorkommt, lässt Rückschlüsse über das Betriebsklima zu. Und das Ausbleiben von drastischen Konsequenzen wird dieses Klima weiter festigen.
Um die Bedrohungen also zu bekämpfen, muss der öffentliche Druck auf die Ermittlungsbehörden und die politisch Verantwortlichen weiter aufrecht erhalten bleiben. Der unrechtmäßige Abruf der persönlichen Daten durch Polizisten ist noch immer ein wichtiger Zugang, der für die Aufklärung des gesamten Komplexes geeignet ist.
Der Druck muss allerdings auch darauf gerichtet sein, Strukturen und Einstellungen in der Polizei kritisch zu beleuchten. Anlässe dafür gibt es nämlich auch jenseits der Drohbriefe. In Berlin scheitert die Polizei seit Jahren daran, eine rechts motivierte Serie von Anschlägen aufzuklären, womöglich auch, weil es Verstrickungen von Polizisten mit Kreisen der Täter geben könnte. Mittlerweile hat die Generalstaatsanwältin Koppers die Ermittlung in der rechten Anschlagsserie an sich gezogen, da das Vertrauen in die Staatsanwaltschaft zu sehr erschüttert war.
Immer wieder werden auch in anderen Bundesländern Fälle bekannt, in denen Polizisten in Chats volksverhetzende und rassistische Nachrichten austauschen. Es geht also – wie so oft – nicht um Einzelfälle. Das Problem hat Struktur.
Martina Renner ist stellvertretende Vorsitzende der Linken, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied der VVN-BdA. Sie hat ebenfalls Drohungen des NSU 2.0 erhalten.