Leben als Kampf

geschrieben von Andreas Siegmund-Schultze

15. Dezember 2020

Neonazis nutzen Kampfsport als Nachwuchsschmiede

Kampfsport als Rekrutierungsfeld für Nazis wird vielfach unterschätzt. Das mag verwundern, sind doch bis zum Anfang der Pandemie Boxvereine und Muckibuden auch angesichts des Fitnessbooms vielerorts wie Pilze aus dem Boden geschossen. In den letzten Wochen ist das Thema Nazis und Kampfsport gleich mehrfach stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Häufig verbunden mit Stichworten wie »Tag X«, »Kampf der Nibelungen«, MMA sowie einschlägigen Gruppen und Marken wie »Wardon«, »Black Legion«, »Greifvogel Wear« oder »White Rex«. Fernab medialer Hypes sind es stets einzelne engagierte Journalist*innen oder die Betreiber*innen des Blogs »Runter von der Matte!« sowie Aktive in Antifagruppen und Archiven, die kontinuierlich dazu arbeiten.

Nichts tun und kleinreden

Im Oktober hat sich die Bundesregierung auf über 30 Seiten zur rechten Kampfsportszene geäußert. Vorausgegangen war eine kleine Anfrage der Grünen. Auch wenn Expert*innen wenig Neues aus der Antwort ziehen können, dürfte ein Mehr an öffentlichem Interesse kaum schaden. Hinzu kommt nach Ansicht der Anfragestellerin, dass »eine sportpolitische Positionierung der Bundesregierung zu Extremkampfsport (…) bisher nicht zu erkennen« sei. Dass sich daran allerdings schnell etwas ändert, kann bezweifelt werden. Obwohl man erkannt haben will, dass Kampfsport innerhalb des Neonazispektrums ein »organisationsübergreifendes und verbindendes Element« darstelle, heißt es in der Regierungsantwort, ein »sportpolitischer Regelungsbedarf wird nicht gesehen«. Dazu passt auch das Kleinreden von jüngst bekanntgewordenen Verbindungen zwischen Bundeswehr-Rekrut*innen und dem Nazikampfsport in der Regierungsantwort.

Foto: Andreas Domma

Foto: Andreas Domma

Der Publizist Robert Claus ist Herausgeber eines neuen Sammelbandes »Ihr Kampf – Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert«. Im Buch wird auch das lukrative Geschäft mit dem rechten Kampfsport beleuchtet. In einem hörenswerten einstündigen Podcastgespräch der taz vom 23. Oktober macht Claus die europaweite Dimen-sion des Phänomens deutlich. Claus bewertet insbesondere die »Gewaltkompetenz, die im Kampfsport vermittelbar ist«, als besonders lukrativ, um Personen mit rechten Einstellungen dafür zu begeistern. Als »ideologische Klammer« macht er »eine wehrhafte Männlichkeit sowie einen gewalttätigen Rassismus« aus. Stets verbreiten extreme Rechte das wahnhafte Bild einer »Bedrohung«, derzufolge Europa durch Geflüchtete oder Migrant*innen »überrannt« werde. Um dem zu begegnen, sei es in der völkischen Gedankenwelt der Neonazis nötig, das »Leben als Kampf« zu begreifen, die »›rassische‹ Reinheit« zu wahren und sich »national, wehrhaft zu machen«. Dies, verbunden mit strikter Geschlechtertrennung und Antisemitismus, stehe in klarer Tradition zur »Wehrertüchtigung« im deutschen Faschismus, so Claus.

»Kampf der Nibelungen«

Ein eindrückliches Beispiel für die Verbindung zwischen extremer Rechter und Kampfsport ist der »Kampf der Nibelungen« (K.d.N.). Was im Jahr 2013 mit etwa hundert Teilnehmern als direkt aus der Szene heraus organisierte Veranstaltung in Vettelschoß (Rheinland-Pfalz) begann, zog 2017 schon 500 Neonazis nach Kirchhundem (NRW) und im Jahr darauf fast 1.000 nach Ostritz (Sachsen). Damit wurde es zum größten Ereignis dieser Art europaweit. Als Organisator trat der Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla (Partei »Die Rechte«) sowie im Jahr 2018 auch sein russischer Gesinnungskamerad Denis Kapustin auf. Die Reklame wurde mit der Zeit professioneller, das Event um zahlreiche Aktivitäten ergänzt. 2017 erfolgte eine von den Behörden genehmigte Patentanmeldung. Bei den jährlichen K.d.N.-Wettkämpfen stiegen die Kämpfer für die Disziplinen Boxen, MMA und K-1 in den Ring. 2019 wurde der K.d.N. erstmals durch die Behörden in Ostritz verboten, wegen Gefahr für die öffentliche Ordnung. Auch 2020 lief es nicht wie geplant: Aufgrund der Rechtsunsicherheit und der Pandemie wurde ein Webstream als Ersatz angekündigt. Hier waren die Behörden ebenso vorgewarnt und so konnten fast nur Aufzeichnungen von Kämpfen ausgestrahlt werden. Mitte Oktober hieß es auf den »sozialen« Webkanälen des K.d.N., entsprechende Veranstaltungen solle es zunächst nicht mehr geben, man setze stattdessen auf den Verkauf von Merchandise.

Rechte Kämpfer*innen waren in der Vergangenheit nicht nur bei einschlägigen Events der Nazi-szene zu sehen. Sie sind auch in zahlreichen Hooligangruppen aktiv und kämpfen in den verfeindeten Armeen im Konfliktgebiet der Ukraine. MMA-Kämpfer*innen mit rassistischen Tattoos oder rechter Einlaufmusik wurden auch zu Events der BRD-Kampfsportverbände German MMA Federation und German Amateur MMA Federation eingeladen. Laut »Runter von der Matte!« stünde es diesen, statt gelegentlich symbolische Gesten zu liefern, gut zu Gesicht, dafür zu sorgen, dass Rassismus und Menschenfeindlichkeit im Ring oder auf der Matte nichts zu suchen haben.

Begriffe zum Thema:

Gym: Fitnessstudio, wird häufig weiter gefasst und kann auch eine Turnhalle oder ein Sportverein sein

Tag X: Chiffre für Planspiele zu einem rechten Umsturz, um Demokratie abzuschaffen und Diktatur zu errichten

K-1: Abwandlung des Kickboxens

MMA (Mixed-Martial-Arts, etwa Gemischte Kampfkünste)

Dabei bringen die Kämpfer*innen ihre jeweiligen Disziplinen ein. Erlaubt ist fast alles, darunter Schlag-, Bodenkampf-, Ring- und Tritttechniken

Zu empfehlen:

Robert Claus (Hg.), »Ihr Kampf – Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert«, Werkstatt-Verlag 2020, 224 Seiten, 19,95 Euro

Podcast mit Robert Claus:  kurzelinks.de/claus

Blog »Runter von der Matte! – Kein Handshake mit Nazis«:  runtervondermatte.noblogs.org