Endlich positionieren
18. Dezember 2020
Berlin muss Gemeinnützigkeit von VVN-BdA und anderen Vereinen anerkennen
Vor fast einem Jahr entzog das Berliner Finanzamt der VVN-BdA unter Berufung auf den Bericht des Verfassungsschutzes in Bayern die Gemeinnützigkeit. Dieser Verwaltungsakt gilt rückwirkend ab 2016 und bezieht sich auf einen Anwendungserlass der Abgabenordnung (§ 51 Abs. 3 AO Satz 2) aus dem Bundesfinanzministerium. Darin steht, dass Organisationen, die in einem Verfassungsschutzbericht auftauchen, die Gemeinnützigkeit verlieren.
Obwohl die Vorwürfe gegen die VVN unhaltbar sind, bedeutet das konkret, dass unser finanzieller Fortbestand aufgrund von Steuer-Nachforderungen auf der Kippe steht. Gleichzeitig ist der Entzug der Gemeinnützigkeit auch ein Angriff auf alle tätigen Antifaschist*innen, auf die Nachkommen der Verfolgten des Naziregimes und auf die Überlebenden, die ihr Leben dem Antifaschismus gewidmet haben. Das geschieht in einer Zeit, in der rassistische Hetze und autoritäre Staatsformen auf dem Vormarsch sind. Diesen Zusammenhang haben die vielen neuen Mitglieder verstanden, die seit letztem Jahr zur VVN-BdA gestoßen sind.
Nach einem Jahr heftiger politischer und juristischer Auseinandersetzung müssen die Rot-Rot-Grüne Regierungskoalition in Berlin und das Bundesfinanzministerium endlich klarstellen, dass Antifaschismus in Deutschland auch weiterhin gemeinnützig ist. Deshalb kamen am 21. Oktober am Berliner Abgeordnetenhaus rund 300 Antifaschist*innen zusammen.
Markus Tervooren (VVN-BdA Berlin) betonte im Eingangsstatement, wie sehr man vom Berliner Senat enttäuscht sei. Seit einem Jahr gebe es von Rot-Rot-Grün warme Worte, aber es tue sich nichts. Auf den Angriff eines AfD-Sympathisanten, der in Henstedt-Ulzburg mit dem Auto in Gegendemonstrant*innen gefahren ist, ging Cornelia Kerth (VVN-BdA Bundesvorsitzende) in ihrem Beitrag ein. Dass dieser Angriff als Auseinandersetzung zwischen Extremist*innen dargestellt werde, zeige wie falsch der Extremismusbegriff selbst sei und wie viel er verschleiere. Der VS benutze diesen Begriff und begründe damit die Beob-achtung der VVN-BdA in elf von 16 Bundesländern, die sich nur in der Erwähnung im bayerischen VS-Bericht niederschlägt. Die als extremistisch Gebrandmarkten sollten von gesellschaftlichen Debatten ausgeschlossen werden, während der Verfassungsschutz selbst sich als Bollwerk gegen Rechts darstelle. Der VS teilte in einem der Verfahren gegen einen Verfassungsschutzbericht mit, dass die Äußerung »Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen« aufgrund der Missachtung der Meinungsfreiheit bereits verfassungswidrig sei. Ein völlig verqueres Faschismus- und Demokratieverständnis, so Kerth.
Stephan Lindner von Attac ging auf den Entzug der Gemeinnützigkeit seiner Organisation ein. Mit der politischen Bildungsarbeit zu Finanzmarkttransaktionen sei der Verein in den Augen der Finanzbehörde zu politisch. Das verstoße gegen die Gemeinnützigkeit. Attac wehrt sich seit Jahren unter anderem mit der VVN in der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« gegen die Angriffe auf die Gemeinnützigkeit. Maja von den »Omas gegen Rechts« begründete die Forderung nach Gemeinnützigkeit der 1947 gegründeten VVN vor allem historisch und mit der Biografie ihres Vaters, der vom zehnjährigen Nazi-Anhänger zum Widerstandskämpfer und KZ-Insassen wurde. Sie betonte: »Wer Faschismus unter Meinungsfreiheit einordnet, hat nichts verstanden.« Sie ging auf die aktuellen rechten Bedrohungen ein, die sie als »Omas gegen Rechts« wieder habe aktiv werden lassen. Ferat Kocak, der selbst zum Anschlagsziel von Neonazis in Berlin-Neukölln wurde, forderte, dass den Sicherheitsbehörden die Gemeinnützigkeit entzogen werde, weil sie nicht zur Aufklärung von faschistischen Anschlägen beitrügen, sondern diese deckelten. Er sagte: »Antifaschist*innen helfen, wo der Staat versagt, deshalb ist die VVN so wichtig.«
Michael Wildt, der selbst nicht anwesend sein konnte, erinnerte in seinem verlesenen Statement daran, dass viele der heute so selbstverständlichen Erinnerungsorte bei ihrer Entstehung von Antifaschist*innen gegen die Mehrheitsgesellschaft durchgesetzt werden mussten. Dabei hätten die Überlebenden der Shoa eine entscheidende Rolle gespielt. Der VVN nun aktiv zu schaden, wie es die Finanzverwaltung tue, sei verantwortungslos gegenüber der deutschen Geschichte und der Demokratie. Hanna Reichhardt (stellv. Juso-Bundesvorsitzende) setzte sich in ihrem Beitrag mit dem Begriff der Gemeinnützigkeit auseinander: Für eine Gesellschaft gemeinnützig seien Aktivitäten, die auf den Erhalt der Demokratie zielten sowie gegen Krieg und gegen Faschismus gerichtet seien. Der Staat sollte das anerkennen.
Die Kundgebung »Antifaschismus muss gemeinnützig bleiben«, wurde auf Video festgehalten und kann in voller Länge angeschaut werden. kurzelinks.de/vvn-kundgebung
Der Redebeitrag von Günter Pappenheim ist auf der Seite lag-buchenwald.vvn-bda.de nachzulesen.